Macht und Aberglaube in verführerischen Farben

by Kristin Schmidt

Der britisch-kenianische Künstler Michael Armitage zeigt im Kunsthaus Bregenz seine Ausstellung «Pathos and the Twilight of the Idle». Zu sehen sind grossformatige Gemälde zu tagespolitischen Themen und zu afrikanischen Mythen.

Lubugo wird als Leichentuch verwendet, als Unterlage für die Waren am Markt, als Verpackungsstoff. Hergestellt aus der Rinde des ugandischen Feigenbaumes dient das Material vielfältigen Zwecken. Michael Armitage nutzt es für seine Gemälde. Der Künstler mit kenianischen Wurzeln wählt damit einen Bildträger, der lokal und praktisch eingesetzt wird. Damit verweist er nicht nur auf seinen Bezug zum afrikanischen Kontinent, sondern verleiht auch seinen künstlerischen Arbeiten einen aussergewöhnlichen Charakter: Lubugo hat Löcher, ist unregelmässig und muss für grosse Formate aus mehreren Stücken zusammengesetzt werden. Deshalb haben die Gemälde von Armitage Nähte, Lücken und eine strukturierte Oberfläche. Gezielt baut Armitage diese Details in seine Kompositionen ein. «Dandora» beispielsweise zeigt Musikerinnen und Musiker in einem Halbkreis, einer zieht eine Geiss aus dem Bild, Schweine entspringen einem Hirn, eine Kuh dreht ihr Hinterteil der Runde zu. Eine Naht läuft wie eine Kotspur aus dem After senkrecht nach unten. Mit dem Bildtitel verweist der Künstler auf eine riesige Mülldeponie in Nairobi. Die Menschen dort suchen in dem tonnenweise angeliefertem Abfall nach Verwertbarem.

Mechanismen der Macht

Armitage zeigt den Schmutz, die Armut, aber auch den Zusammenhalt und die kulturellen Spuren. Das Bild hängt im ersten Obergeschoss des Kunsthauses Bregenz. Versammelt sind dort Gemälde des Künstlers, die sich politischen Themen widmen. Es geht um Macht und die Mechanismen dahinter, um Demokratie und Manipulation. In einem Gemälde mit Rednerpult und Kristallkugeln untersucht er zum Beispiel unterschiedliche Rollen und Erwartungen: Wenn ein Politiker auftritt, wollen die Menschen ihn hören? Oder ist es anders herum? Wer folgt wem? Wer formt wen? Mit welchen Konsequenzen?
Seine Fragen und Botschaften verpackt Michael Armitage in opulente Bilder. Die Inhalte stehen nicht im Vordergrund, sondern die Lust an der Malerei. Der Künstler greift dabei immer wieder auf die reiche europäische Kunstgeschichte zurück. Elemente des Symbolismus mischen sich mit solchen des Jugendstils; es gibt Referenzen auf Motive von Hans Holbein, den Bildaufbau bei Tizian oder die Figurendarstellungen von Edgar Degas. Die menschliche Figur steht in Armitages Gemälden oft im Zentrum. Eingebettet ist sie in Naturschilderungen und ornamentalen Formen.

Tänze und Teufelsaustreibungen

Kennzeichnend sind fliessende Linien und weiche Konturen. Gestalten bleiben schemenhaft, Farbkontraste sind wirkungsvoll inszeniert. Dies zeigt sich vor allem in den Werken im zweiten und dritten Obergeschoss – das Erdgeschoss ist diesmal für eine andere Künstlerin reserviert: Dort zeigt Anna Jermolaewa, eine russische Dissidentin, die Österreich 2024 an der Biennale Venedig vertritt, aktuelle Arbeiten.
Michael Armitage präsentiert im zweiten Obergeschoss des Kunsthauses Arbeiten zum Thema Mythos und Aberglaube. Sowohl die Dämonisierung psychisch Kranker findet hier ihren Ausdruck als auch Teufelsaustreibungen oder rituelle Tänze. Hier fällt besonders die ausgetüftelte Hängung in den Blick: Zwischen den sechs gezeigten Gemälden ergeben sich Blickachsen aus den Bildern heraus zum nächsten. Im dritten Obergeschoss ist das weniger gelungen, die zusätzlich aufgebaute Wand ist ein Fremdkörper in der klaren Architektur des Ausstellungssaals. Zumal auch hier wieder sechs Gemälde zu sehen sind – eine zusätzliche Wand verstellt nur unnötig den Blick auf Armitages virtuos ausgeführte Malerei, seinen meisterhaften Umgang mit Farbe und Komposition.