Wie gehen wir mit dem Tod um?
by Kristin Schmidt
Ein schweres Thema stimmig präsentiert
Wie schauen Künstlerinnen und Künstler auf die Werke anderer und auf eine bestehende Sammlung? In der neuen Reihe «Artist´s Choice» lädt das Kunstmuseum Liechtenstein Künstlerinnen und Künstler ein, eine Sammlungsausstellung zu kuratieren. Martina Morger ist die Erste.
Blau erzeugt Tiefe, Weite und lässt an den Himmel wie an das Meer denken. Es ist die Farbe der Sehnsucht, der Schwere und der Klarheit. Im Kunstmuseum Liechtenstein ist es die Farbe der Ausstellung «Are We Dead Yet?»: Blau schimmert ein Objekt in einer Vitrine, blau flimmern die Monitore. Blau taucht in einem Gemälde auf und in einer Neonschrift. Nachtblaue Samtvorhänge fallen bis auf den Boden. Diagonal hängen sie im Raum und dämpfen die Geräusche. Ausserdem ist die Beleuchtung reduziert. Alles passt zusammen: Martina Morger hat die Farbe gewählt, die Stoffe und die Dunkelheit. Die 1989 in Vaduz geborene Künstlerin war vom Museum eingeladen worden, ihren eigenen Blick auf die Kunstsammlung auszustellen.
Kunst kann den Tod überwinden
«Sind wir schon tot?» fragt Martina Morger mit dem Ausstellungstitel und greift ein tabuisiertes Thema auf. Früher gehörte der Tod zum Alltag: Oft lebten drei Generationen unter einem Dach und die Menschen starben nicht selten daheim. Der Tod war nah. Heute findet das Sterben anderswo statt. Ist der Tod deshalb ferner? Martina Morger verneint: «Das Sterben ist von Anfang an eingeschrieben ins Leben. Aber ich möchte zeigen, dass wir den Tod jeden Tag überwinden können. Die Kunst gibt uns die Möglichkeit dazu.»
In der Kunstgeschichte ist der Tod ein klassisches Thema, vom Christustod über den Totentanz bis zur Toteninsel. Aber wie stellt sich der Tod in zeitgenössischen Werken dar? An den Anfang ihrer Ausstellung stellt Martina Morger eine Fotoserie von Latifa Echakhch. Die in Marokko geborene Schweizerin hat Schnecken auf einem Friedhof fotografiert. Für Martina Morger ein perfektes Bild für das Werden und Vergehen: «Hier zeigt sich der ewige Kreislauf, ohne belehrend zu sein: Die Schnecken tanzen auf den Gräbern.» Neben den Tieren ist Plastikmüll zu sehen. Der sorgt dafür, dass es nicht zu idyllisch wird. Und er leitet über zu einem Werk von Pamela Rosenkranz: In einer PET-Flasche steht der Flüssigkeitsspiegel leicht schräg. Ist das Wasser erstarrt? Stirbt das Wasser, wenn es in Wegwerfflaschen abgefüllt wird? Antworten gibt Martina Morger keine, aber sie lenkt den Blick auf die kleinen Details und regt Fragen an: «Wie schauen wir auf die Dinge? Wie stellen wir Dinge dar?» Die Aufforderung, genau zu hinzusehen, verbindet sie mit dem grossen Thema: «Wie kommen wir mit dem Tod zurecht? Wie bewegen wir uns auf den Tod zu?»
Dialoge zwischen Kunstwerken
Martina Morger zieht feine Linien durch die Ausstellung und lässt Werke miteinander in einen Dialog treten. So filmt Marcel Odenbach in einem Aschenbecher abgelegte Zigaretten und blendet Aufnahmen der Progromnacht 1938 dahinter und Videos von zeitgenössischen Unruhen. Aleksandra Signer hingegen filmte zufällig einen Vogel, der wiederholt gegen das Atelierfenster flog, und hörte währenddessen Nachrichten über den Krieg 2006 im Libanon. Bei beiden Werken interessiert Martina Morger die Gleichzeitigkeit: «Aus welcher Perspektive beobachten wir das Weltgeschehen? Was tun wir, während es anderswo passiert, und wenn wir keinen Handlungsspielraum haben?»
Martina Morgers Auswahl ist vielseitig, sie vereint drastische Werke mit zurückhaltenden, bekannte mit bisher nicht gezeigten. Auf Werke aus dem eigenen Fundus verzichtet die Künstlerin in ihrer Schau. Sie lässt andere zu Wort kommen und verbindet sie in einer stimmigen Inszenierung, die das Thema nicht verharmlost und zugleich einen ästhetischen Gesamtklang entfaltet.