David Berweger
by Kristin Schmidt
Le Néophyte (Nature Morte aux Arabesques), 2021
Siebdruck auf Kunstseide, Garn
55 x 25 cm
Hohe Säle, textile Wandbespannung, hölzerne Türlaibungen und Heizkörperverkleidungen – das 1916 eröffnete Kunstmuseum Winterthur ist Sockel und Rahmen: Hier soll die Kunst ehrfurchtsvoll betrachtet werden, flüsternd und gemessenen Schrittes, von Saal zu Saal bis zu einem polygonalen Raum. Dahinter führt ein Gang zu dem vom Architekturbüro Gigon/Guyer entworfenen Erweiterungsbau für die zeitgenössische Kunst. Wer dorthin will, passiert zuvor die klassische Moderne und ihre Vorläufer – und hat vielleicht den Wimpel übersehen: In den polygonalen Raum wurde er wie ein Fremdkörper hinein geschmuggelt. David Berweger hat ihn für die Dezemberausstellung … entworfen. Bereits für die Jubiläumsedition der Ausserrhodischen Kulturstiftung, 2019, hatte der Künstler einen Wimpel beigesteuert: Dreieck, Fransen, geometrische Gestaltung, Emblem oder Textfeld – Berweger bezieht sich auf die Typologie eines Wimpels, ersetzt jedoch die zentrale Wort-Bild-Marke durch eine monochrome Fläche. Der konkrete Vereinsbezug fehlt, umso universeller erzählen die Wimpel vom Sport, von der Fankultur, dem Jubel, dem Lärm und auch der Gewalt.
Klein, beinahe unscheinbar ist Berwegers Intervention im Kunstmuseum Winterthur. Formal fügt sie sich mühelos der reduzierten Formensprache der abstrakten und konkreten Kunst an, inhaltlich öffnet sie sich für grosse Fragen: Was gehört in eine Museumssammlung? Welches sind die etablierten Regeln des Kuratierens und Zeigens? Worauf lohnt es sich, im Kunstkontext zu achten? Zum Beispiel auf die Leerstellen: Im Wandsegment neben dem Wimpel ist eine rechteckige Stofffläche weniger ausgebleicht als die übrige Bespannung. Offensichtlich hing hier früher ein Gemälde. Die Beschriftung gibt jedoch keinen Aufschluss, sie verweist auf David Berwegers Werk. Fehlt also etwas? Gehört die Leerstelle zu «Le Néophyte»? Leichtfüssig und ohne einfache Antworten zu liefern, unterwandert der Künstler die Konventionen des Ausstellens und führt auf neue Fährten.
«Obacht Kultur» N° 45, 2023/1