Die Birne in der Pfütze

by Kristin Schmidt

Absurdes, Witziges, Banales – Francisco Sierra scheut keine Grenzüberschreitungen. Mit grosser künstlerischer Finesse porträtiert er das Schräge ebenso wie das Komische. Die Kunsthalle Appenzell zeigt Gemälde, Zeichnungen und Objekte des Künstlers in einer Überblicksausstellung.

Appenzell — Francisco Sierras Malerei ist meisterhaft und die mögliche Fallhöhe gross. Den Künstler reizt die Gratwanderung. In seinen grossformatigen Gemälden zelebriert er Oberflächen mit Lichtpunkten und Glanzeffekten. Sie sind bestechend in ihrer malerischen Perfektion, mit ihren dreidimensionalen Illusionsräumen und den virtuos gesetzten Details: funkelnde Preziosen, lebendig blickende Augen, mit Pinsel und Farbe inszenierte, raffinierte Unebenheiten. Aber was er da malt: Delfine, Monde, Vasen – Dinge, die aussehen, als seien sie aus Keramik gefertigt und glasiert; Dinge, die schräg und schrecklich sind in ihrer Ästhetik, ihrem unbedarften Anspruch, etwas Reales abzubilden. Tatsächlich töpfert Francisco Sierra selbst auf der Basis von Kugelschreiberzeichnungen. Er fotografiert die entstandenen Keramiken und überträgt sie in Öl auf die Leinwand. Ist das Deko? Ist das Kitsch? Es ist Malerei! Der 1977 in Santiago de Chile geborene und 1986 in die Schweiz emigrierte Künstler beherrscht das Handwerk so gut, dass er sich an Grenzen heranwagen kann: Wann droht das Banale die Oberhand zu gewinnen? Wie lange behauptet sich das Medium Malerei gegen den Tand? Bei den figurativen Gemälden im Erdgeschoss der Kunsthalle Appenzell hält diese fragile Balance. Bei den Mittelformaten im ersten Obergeschoss kippt sie zuweilen: Wenn kleine geschlechtslose Wesen ein Stangenbrot wie einen Drachen fliegen lassen oder jedes eine Kartoffel am Faden hält, dann hat das vor allem illustrativen, narrativen Charakter. Wenn ein Schwarzes Quadrat mit Jetpack davon düst, kommt noch ein Verweis auf die Kunstgeschichte hinzu, aber es vermag ebenso wie die Birne mit Penis in ihrer eigenen Pfütze bestenfalls kurz zu amüsieren. Hier überzeugen vor allem die Kugelschreiberzeichnungen: Sierras Humor kommt darin frisch und beiläufig daher, während die malerische Transformation dem Witz die Unmittelbarkeit nimmt.
Im obersten Stockwerk der Kunsthalle zeigt der Künstler vierundvierzig Miniaturporträts von Guppys auf geschweiften Wandsockeln. Die visuell attraktiven Tiere sind beliebte Zierfische und damit das ideale Sujet für Francisco Sierra: Sie fordern für hyperrealistische Abbilder das ganze Können des Künstlers, sie reizen zum Spiel zwischen Dekoration und Kunst und stehen zugleich für das komplexe Verhältnis von Natur und Künstlichkeit.