Alexandra Bachzetsis – Bewegung ist immer

by Kristin Schmidt

Alexandra Bachzetsis analysiert weibliche und männliche Attitüden und Gesten im öffentlichen Raum. Die Zürcher Künstlerin übersetzt diese Typologie in Bewegung: Ihre Performances werden im musealen Kontext wie auch auf Bühnen präsentiert. Die aktuelle Ausstellung in der Kunst Halle Sankt Gallen zeigt Schlüsselmomente ihrer künstlerischen Karriere.

Mit den Schultern zucken, die Lippen spitzen, die Haare zurückwerfen, langsam die Augen aufschlagen – Gestik und Mimik lassen sich anspielungsreich einsetzen. Vieles davon wird eindeutig verstanden. So ist bei repetitiven, stossweisen Beckenbewegungen keine zweite Person vonnöten, um allgemein verständlich einen Geschlechtsakt anzudeuten. Anderes bleibt kleineren Kulturkreisen vorbehalten oder ist vollständig tabuisiert. Das kann sich ändern: Die gesellschaftliche Akzeptanz von Bewegungen wandelt sich genauso wie deren Art und Interpretation. Twerking beispielsweise ist inzwischen selbst auf Schulhöfen verbreitet, wenngleich es noch immer als anstössig gilt. Alexandra Bachzetsis verfolgt solche Entwicklungen. Die in Zürich lebende Künstlerin und Choreografin arbeitet mit dem menschlichen Bewegungsrepertoire. Sie untersucht insbesondere dessen geschlechtsspezifische Ausprägungen und Wahrnehmungen sowie die Verbindung zur Sexualität: «Mich interessieren Fragen zum Körperkult: Wie nehmen wir den Körper wahr? Wie identifizieren wir uns mit der Sexualität der Körper in der Gesellschaft? Wofür steht die repetitive Bewegung? Welche Gesten und Abläufe gibt es? Es geht stark um die Frage des Körpers im Exzess und um die Gratwanderung zwischen Ausbeutung und Leidenschaft.»

Starke Körper, junge Körper

In ihrer Ausstellung in der Kunst Halle Sankt Gallen zeigt Bachzetsis ältere und jüngere Arbeiten sowie eine eigens entwickelte Performance. Bereits in der so aufgefächerten Spanne von rund zwanzig Jahren zeigen sich zeitspezifische Details. Das liegt auch daran, dass popkulturelle Phänomene eine wichtige Rolle in Bachzetsis‘ Arbeit spielen, drücken sich doch hier Sexualität, Körperbild und jugendliches Selbstverständnis aktuell und in gesellschaftlicher Breite aus. So behandelt ‹Take On Gold›, 2023, den sexualisierten Körper in der Musikbranche. Doch statt eines makellosen Pop-Idols bewegt sich hier eine reale Frau zu den lapidar auf Blätter gekritzelten Anzüglichkeiten, die sie jeweils zerknüllt und wegwirft: «Das Video kehrt die sexualisierte Sprache um und zeigt die Ermächtigung.» Genderthemen interessieren die Künstlerin seit langem, sie beschäftigen Fragen wie: «Warum wird eine starke Frau als zu stark wahrgenommen? Welche Ängste löst eine zu starke Präsenz aus? Wann ist etwas zu stark, zu schön oder zu sexualisiert?» Solche Überlegungen führen sie zu zwei eng damit verbundenen Themen: der Kleidung und dem Sport. Letztgenannter kann den Körper stärken, formen und zeigt doch immer auch Grenzen auf, da bestimmte Bewegungen möglich sind, andere nicht. Manche wiederum gehören in einen üblichen Bewegungsmodus, andere strapazieren das Körpervokabular bis zum Äussersten: «Ich untersuche den Körper als Maschine, den überproduzierten Körper, den Körper als agierende Kraft.»
In ‹Ideal for Living›, 2018, lieferte die Künstlerin Teenagern Handlungsanweisungen wie «Musik hören, beobachten, den Lieblingssport machen.» Das sieht im Video alles sehr entspannt aus, ist es allerdings nicht: «Die Instruktion ‹sei Du selbst› ist die schwierigste, die es gibt.» Die Jugendlichen lümmeln in weiten Hosen und Kapuzenpullovern, auch dies gehört zu ihrem Habitus: «Sie hatten die Instruktion, sich so zu kleiden, wie sie sich sehen.» Bachzetsis kommt hier von Fragen des Körpers zu solchen nach der passenden Hülle: «Was lösen Kleider aus an Körpern und an Menschen? Wo ist das Charisma verankert?»

Accessoires aus dem Sexgewerbe

In ihrer jüngsten Performance ‹Notebook›, 2023, drückt die Künstlerin ihre Affinität zum Fragmentarischen und Skizzenhaften aus. Das Stück ist komponiert aus Sequenzen mit unterschiedlichem Charakter, deren Bewegungsrepertoire unter anderem aus dem Aerobic-Sport stammt, aus der Pornographie, der Disko-, der Selfie- oder der Clubkultur. Kennzeichnend sind auch die Kostümwechsel: Bachzetsis kleidet sich unter anderem mit hochhackigen, roten Lackstiefeln und Netzstrumpfhosen, dann trägt sie wie ihr Performancepartner Antoine Weil Stringbodies und Jeans, dazwischen teilen sie sich eine Bomberjacke oder treten mit nacktem Oberkörper auf. Mit den Kleidern gehen einerseits eindeutige Konnotationen einher, sind doch spätestens seit Julia Roberts‘ millionenfach rezipierter Darstellung einer Sexarbeiterin, die dank der Liebe eines finanziell potenten Freiers den Ausstieg aus der Prostitution schafft, gewisse Accessoires in der Massenkultur angekommen. Andererseits manifestiert sich in der Kleidung auch die Entstehungszeit der Performances. Nicht nur modeaffine Teenager können treffsicher zuordnen, ob ein Film in den sogenannten Nullerjahren, den 2010ern oder vor weniger als drei Jahren gedreht wurde. Dieses modische Verfallsdatum ist für Bachzetsis‘ künstlerische Arbeiten mit ihrer Nähe zu Ausdrucksformen der Popkultur nicht unerheblich. Eine solche Arbeit altert anders als eine, die ihre Aussagen unabhängig von kurzlebigen Trends trifft. Das Altern ist eine grundsätzliche Herausforderung in der performativen Arbeit der Künstlerin.

Vom Tanz zur Performance zur Permanenz

Bachzetsis hat eine professionelle Tanzausbildung absolviert, der Körper ist eines ihrer Arbeitsinstrumente. Aber er verändert sich und passt dereinst vielleicht nicht mehr zum ursprünglich konzipierten Ausdruck einer Performance. So hat sich die Künstlerin entschieden, das 2001 entstandene Stück ‹Perfect› schrittweise an jüngere Generationen weiterzugeben. Im Zentrum stehen der zur Schau gestellten Körper und auf die Spitze getriebene Bewegungen im Kippmoment zwischen Fitness und Verführung. In der Kunst Halle Sankt ist nun eine knapp dreistündige Videoversion zu sehen. Fünf Personen performen ‹Perfect› nacheinander, eine davon ist Alexandra Bachzetsis selbst. Alle fünf bringen ihren persönlichen Ausdruck ein und trotzdem ist es eine homogene Arbeit. Dass dies gelingt, ist eine grundlegende Herausforderung im Tanz wie in der Performance: «Welche Choreographie soll übermittelt werden in welcher Form? Wie werden Instruktionen übermittelt?» Notationen oder Videoaufnahmen sind nur ungenügende Hilfsmittel: «Bei einer Wiederproduktion nach Videoaufnahmen fehlt die Intuition der Choreografin, die Autorschaft», so Bachzetsis, «Performance hat mit Intuition zu tun, mit Energie, Attitüde, dem Dialog mit dem Publikum und dem Dialog mit dem Körper. Sehr wichtig ist auch das Casting.» Die Künstlerin gibt ihre Arbeiten selbst an eine jüngere Generation von Performerinnen und Performern weiter. Vieles entsteht dabei kollaborativ, denn auch durch Beteiligung bleibt die Arbeit lebendig.
Zugleich beschäftigt sich Bachzetsis mit der Frage der Permanenz: Was bleibt, wenn die Aufführung vorüber ist, die Ausstellung aber andauert? In der Kunst Halle Sankt Gallen wurde die neue Performance im ersten Raum aufgeführt, die Bühnenvorhänge und Requisiten wie prall aufgepumpte LKW-Schläuche sind nun in die Ausstellung integriert. Für Bachzetsis stehen sie zwischen Objekt und Skulptur: «Ich sehe sie nicht als Relikte, ich sehe sie als Arbeiten. Ihr Charakter ist zwischen Installation, Objekt und Skulptur angesiedelt, jenseits der klassischen Definition.» Zudem laufen auf Screens Einspieler aktueller und älterer Stücke: «Ich arbeite fragmentarisch, gegen die klassische Narration. Die Arbeiten haben eine andere Timeline: Sie dürfen aus früheren Arbeiten kommen, aber auch eigenständig bleiben.» Damit verbinden sie sich im Sinne des titelgebenden Notizbuches zu einer Gesamtpräsentation, die fortwährende Denkprozesse anstösst, das Unvollendete, Skizzenhafte zulässt und dennoch retrospektiven Charakter trägt.

Die Zitate stammen aus einem Gespräch mit der Künstlerin am 28. März 2023.