Defiant Bodies – Körper und Metamorphosen
by Kristin Schmidt
Der widerspenstige Körper, der rebellierende Körper, der unangepasste Körper – in Grace Schwindts Arbeiten ist die Körperlichkeit eine Metapher für Seinszustände. Ihre Werke balancieren zwischen zärtlich und fragil auf der einen Seite und stark und beständig auf der anderen. In Zeichnungen, Plastiken, Installationen und dem Medium der Performance arbeitet die Künstlerin die Kraft und Schönheit des verletzten Körpers heraus. Jetzt sind ihre aktuellsten Arbeiten im Kunstmuseum St.Gallen zu sehen.
«Von den Gestalten zu künden, die einst sich verwandelt in neue Körper, so treibt mich der Geist.» Ovid erzählt in den Metamorphosen von der unsteten Physis. Götter verwandeln sich selbst, verwandeln Menschen und Halbgötter in Tiere, Pflanzen oder Felsen. Mal ist die Verwandlung von Dauer, mal nur vorübergehend. Die Liste der Verwandelten ist lang und ebenso lang diejenige der Motive für eine Transformation: Sie kann schützen, sie kann aus Rache erfolgen oder als Strafe, sie kann – wie etwa bei Philemon und Baucis – Treue und Redlichkeit belohnen. Diese Gestaltwandlungen haben Künstlern und Künstlerinnen seit Jahrhunderten herausgefordert. Auch wenn sich Grace Schwindt nicht auf Ovid bezieht, steht ihr Interesse an fliessenden Übergängen zwischen Mensch, Tier oder Pflanze in einer langen künstlerischen Tradition. Eigenständig ist Schwindts Haltung trotzdem. Die Künstlerin beobachtet, wie Körper heute gelesen und eingeordnet werden und welche Zwänge damit verbunden sind: «Ich thematisiere, wie man als Körper in der Gesellschaft funktionieren muss – innerhalb bestimmter Kategorien wie sexueller Orientierung, Alter, Geschlecht. Ich empfinde das als gewalttätig.»
Integrierte Verletzungen
Wiederkehrende Motive in Grace Schwindts Arbeit sind hervortretende Knochen, der senkrecht gestellte Fuss mit nach innen gerollten Zehen und eine fragile Balance der Körper. Schwindt zeigt verletzte Körper, Körper, die deformiert sind oder entzwei und betont diese Brüche: «Meine Arbeiten erlauben, über Traumata zu reden, aber gleichzeitig bestehen sie in jeder Figur auf Stärke und Ruhe.» Bruchstellen, Verformungen, Fragmente: «Die Figuren zeigen ihre Wunden, aber auch die verletzte Form ist in sich eine vollständige Form: Ich integriere die Verletzung.» Sie wird als lebendige, reiche Oberfläche gestaltet und damit als besonders ästhetisches Element.
Jede dieser verletzten Plastiken weist weit über sich hinaus: «Es ist möglich über einen individuellen Körper oder ein individuelles Trauma historische Traumata zu verstehen.»
Die Künstlerin arbeitet mit Keramik und Bronze und kombiniert mitunter beide Materialien. ‹In Two Parts› beispielsweise besteht aus einem weissen Keramikkopf mit einer grossen Abbruchstelle. Diese Stelle ist glasiert mit metallischen, tiefblauen und Rottönen. Das Gegenstück zur Fehlstelle ist daneben platziert, jedoch aus Bronze gegossen und in sonorem Blau patiniert. Auf diese Weise bilden die gegensätzlichen Materialien eine Einheit: «Keramik ist als Material sehr fragil und Bronze sehr stark. Dieses Zusammenspiel ist mir wichtig.»
Sockel und Bühne
Ihre Kleinplastiken präsentiert Schwindt im ersten Ausstellungssaal auf einzelnen Sockeln. Manche der Sockel sind vollständig versengt. Die Maserung des Holzes tritt dadurch dreidimensional hervor. Auch dies eine Form der ästhetischen Verletzung – allerdings etwas offensichtlich auf diesen Effekt getrimmt. Sehr stimmig hingegen ist Schwindts Inszenierung im Oberlichtsaal. Hier platziert sie ein Dutzend der Kleinplastiken auf einem einzigen, fast raumfüllenden Kubus. Dadurch stehen sie in einem eigenen Kontext und ihre Dimension verschiebt sich von klein zu gross. Oder wird alles neben dem Kubus plötzlich kleiner? Die Masse der Plastiken sind ebensowichtig wie die des Sockels: «Stelle ich die Plastiken auf eine Bühne, dann wird sie zum Sockel. Aber was passiert, wenn dieser Sockel zehn Zentimeter weniger hoch ist als im musealen Kontext üblich? Zudem hat er eine Treppe erhalten – eine Referenz zur Theaterbühne.»
Als Bühne wird der Sockel während der Performances genutzt. Eine Boxerin, ein Bodybilder, eine Tänzerin, eine Sängerin und eine Schlagzeugerin agieren dabei miteinander, nebeneinander und autonom. Sie bewegen sich frei in den Museumsräumen – nicht nur auf der Bühne – und halten immer wieder inne. Die Übergänge zwischen Skulptur, Objekt und Performance sind dabei fliessend: Das Kostüm der Sängerin mit seiner neun Meter langen Schleppe ist Teil der Ausstellung, die Stickerei darauf ist von einer Zeichnung übertragen. Die Silhouette eines liegenden Boxers an der Wand oder die Eckpfosten eines Boxringes finden ihre Entsprechung in der Figur der Boxerin. Zudem stehen die Performerinnen und der Performer für Schwindts Thema des Körpers: «Ich arbeite gerne mit lebendigen Körpern. Bei diesen Körpern geht es um Erinnerungen, Vorschläge und Fantasien vom kranken Körper und vom gesunden Körper.»
Neue lebensgrosse Plastiken
Erstmals in der St.Galler Ausstellung arbeitet die Künstlerin auch mit lebensgrossen Plastiken. Zusammengekauert oder als Mensch-Vogel-Wesen sind sie durch Seile mit dem Boxringfragment verbunden. Vor dem Museum im Stadtpark bäumt sich ein Körper, der in einen steinernen Wasserfall übergeht. Hier drängt sich wie an mehreren Stellen der Ausstellung die Erinnerung an surrealistische Bildfindungen auf – eine Assoziation, die Schwindt nicht überrascht, mit der sie jedoch brechen will: «Der Surrealismus ist eine eigene Sprache. Sie ist auch bereits wieder eine Referenz und es fühlt sich künstlich an, diese Kategorisierungen zu machen. Ich kämpfe gegen eine eindeutige Lesbarkeit an, dagegen, dass man den Anderen einordnen muss, um ihn zu verstehen.» In diese Offenheit gehört auch das hierarchiefreie Nebeneinander von Tier, Mensch und Pflanze. Im Falle von ‹Defiant Bodies› wird sogar ein kranker und doch lebendiger Baum im Stadtpark ein selbstverständlicher Teil der Ausstellung. Indem sie ‹Arched Figure› daneben platziert, verbindet Grace Schwindt den Aussenraum mit dem Inneren des Hauses. Dort wiederum ist der Rundgang genauso durchdacht: «Es gibt mehrere Bewegungen. ‹Inside Out› zeigt nicht raus aus der Ausstellung, sondern wieder auf den Anfang. ‹Gravity› im Foyer lenkt durch die Treppe wieder in die Ausstellung. Im Oberlichtsaal kreuzen sich die Wege durch die Ausstellung. Hier liegt der Boxer mit dem Blick nach oben, er ist k.o., bewusstlos, es ist der Moment der Ruhe, der Moment des Nichtfunktionierens.» Diesen Moment und damit die Performance zu erleben, macht Grace Schwindts Ausstellung vollständig.
Die Zitate stammen aus einem Gespräch mit der Künstlerin am 14.10.2022.