Taktzeit
by Kristin Schmidt
Arbon — Abfüllanlagen, Fertigungsstrassen, Qualitätskontrolle – lange Bänder transportieren Dinge durch Fabrikhallen; automatisch angetrieben, gleichmässig, endlos. Teile, Waren oder Materialien fahren an Maschinen entlang, durch sie hindurch zur nächsten Bearbeitungsstation. Die Industrialisierung ist rastlos, Stillstand ist unerwünscht. Fabriken schliessen dennoch, die Welt dreht sich weiter. Und mitunter zieht die Kunst in die leeren Hallen ein. Zum Beispiel in Arbon. Seit fast dreissig Jahren zeigt die Kunsthalle ihr Programm in einer ehemaligen Lagerhalle einer Metallfabrik. Ana Strika (*1981, Zürich) installiert nun dort lange Bahnen mit Kurven und Steigungen, unterschiedliche Gestelle und Podeste. Darauf liegen Dinge, gefertigte und gefundene, in kleinen Gruppen, einzeln oder aneinander gereiht. Entfernt schwingt die Erinnerung an Produktionsanlagen mit, auch im Ausstellungstitel. Aber der Takt ist ausgesetzt. Stille ist eingekehrt. Die Dinge sind nicht mehr angetrieben und fahren keinem bestimmten Zweck entgegen. Stattdessen stehen sie für sich, sind autonom und entfalten eine stille, starke Präsenz. Ana Strika trägt seit Jahren einen Fundus aus Werkstoffen zusammen. Nicht die schillernden, leuchtenden, glatten Materialien interessieren sie, sondern die oft als ärmlich klassifizierten: Karton, Paketschnur, unbedrucktes Zeitungs- und Einpackpapier, Gips, Ton. Sie formt daraus kleine Schalen, stapelt, rollt und umwickelt die Materialien und Gegenstände. Sie steckt sie vorsichtig ineinander, biegt oder faltet sie. Pappen werden ausserdem zerschnitten, aber stets ist die Positivform genauso wichtig wie die Negativform. Abfall gibt es ebenso wenig wie Hierarchien. Die Anordnung dieser Dinge folgt nicht irgendeiner Betrachterlogik, sondern rätselhaften Prinzipien, die der Welt der Objekte selbst zu entstammen scheinen. Bis weit über Augenhöhe reichen die aus einfachen Latten zusammengefügten Gestelle und Bahnen. Kein Standort ist der Beste, alle sind gut. Erst im Rundgang durch die Halle fügen sich Silhouetten zu neuen Formen zusammen, erst dann zeigt sich die grosse Vielfalt. Ana Strika addiert die Dinge nicht einfach oder konstruiert eine Aufzählung, sondern arbeitet mit ihnen wie mit Morphemen, Wörtern und Wortgruppen einer Sprache: Sie lassen sich immer wieder neu und nahezu unendlich kombinieren. Sie müssen keinem Zweck genügen und entfalten gemeinsam umso grössere poetische Kraft.