Augenblick um Augenblick eine andere Ausstellung
by Kristin Schmidt
«Die Oberfläche, die Betonung der Oberfläche bietet die Möglichkeit über den farbigen Abglanz die Welt zu zeigen.» Wer hier an Goethes «Faust» denkt, irrt nicht. Jener fand im farbigen Abglanz des Regenbogens das Leben, bei Adrian Schiess wird im farbigen Abglanz die ganze Welt Teil der Malerei. Jede Platte des Künstlers spiegelt ihre Umgebung und spiegelt sie immer neu je nach Tageslicht, Jahreszeit und Bewegung beim Betrachten. Im Kunstmuseum St.Gallen sind die Platten nun besonders intensiv zu erleben dank der grosszügig durchfensterten Räume und der dichten Präsentation.
Junge Künstlerinnen und Künstler kennen die Situation: Ausstellungsräume sind rar, die Einladung zu kuratierten Präsentationen ungewiss, aber der Wunsch, die eigenen Werke zu zeigen und so am öffentlichen Diskurs teilzunehmen, ist gross. Das war vierzig Jahren nicht anders als heute. Was tun? Adrian Schiess malt im Jahr 1980 auf sein Gesicht. Er ist 21 Jahre alt, die Malerei ist offiziell totgesagt, alles ist möglich: Malerei ist nicht mehr an die Leinwand gebunden, nicht ans Tafelbild, nicht an eine horizontale Fläche, stattdessen bieten sich Wangen, Stirn, Nase, Augenlider an. Adrian Schiess trägt Malerei auf seinem Gesicht in die Welt hinaus. Die Fotografie davon hängt nun auf den Litfasssäulen in St.Gallen. Als Plakatsujet spannt sie nicht nur einen Bogen von Schiess´ erster zur aktuellen Ausstellung, sondern bringt die Malerei erneut in die Öffentlichkeit.
Mit dem Plakat und mit einer Publikation stellt sich das Kunstmuseum St.Gallen hinter ein zentrales Anliegen des Künstlers: «Wiederholte Male wurde der Malerei die Teilnahme am kritischen Diskurs abgesprochen oder nicht zugestanden, sie wurde als reaktionäres Medium und nicht mehr als adäquat empfunden. Deshalb sind die Wandmalerei und damit verbunden der öffentliche Bereich so interessant: Malerei nimmt so sehr wohl teil am Diskurs. Es gibt da sehr viele Reibungsflächen und Konflikte.»
Wandmalerei publiziert
Die Wandmalerei – den Begriff «Kunst am Bau» verwendet Schiess bewusst nicht und betont damit die Autonomie der Kunst und ihre Gleichrangigkeit zur Architektur – ist ein seit langem intensiv betriebenes Arbeitsfeld des Künstlers. In der üppig mit Bildern ausgestatteten Publikation wird sie zum allerersten Mal lückenlos dokumentiert: «Das Buch ist der Versuch, diese Werke als Block sichtbar zu machen und in das Gesamtwerk einzubetten. Diese Werke in grossem Massstab sind in Publikationen der Architekten zwar abgebildet, aber dort eher behandelt wie die Haustechnik. Mir ging es darum, mir die Werke wieder anzueignen. Weil die Malerei, wie ich sie pflege – vor allem auch in Zusammenarbeiten – sich so eng mit der Architektur verbindet, habe ich oft hinterher gespürt, dass sie nicht mehr als Kunst wahrgenommen wird. So haben Bauherren mitunter gefragt, ob sie nicht noch ein Bild dazu hängen können oder haben andere Kunst davor platziert.»
Im Buch führt ein Interview des Künstlers mit Ulrich Loock durch die Jahrzehnte. Zugleich sind alle Wandmalereien Schiess´ erfasst und verzahnt mit seinen anderen Werken. Die Publikation hat also durchaus retrospektiven Charakter. Die Ausstellung hingegen hat diesen nicht. Sie zeigt die Platten. Anlass war der Ankauf der «Fetzen» durch das Kunstmuseum St.Gallen gemeinsam mit dem Kunstmuseum Liechtenstein.
Die «Fetzen» entstanden in einem langen Arbeitsprozess und zeigen in ihren Schichtungen, ihrer Materialität, ihrer zeitlichen Komponente die Denkbewegungen in der Malerei. Im Kunstmuseum St.Gallen werden sie zum Auftakt der Ausstellung im Foyer des Obergeschosses in einer barocken Akkumulation auf Tischen präsentiert: «Das ist üppig und gedrängt. Der einzelne Fetzen, auf den ich immer grösste Sorgfalt verwendet habe, ist nicht mehr sichtbar. Die Geste ist kaputt, reduziert auf direktest mögliche Art und von der Frage genährt: Ist das Malerei und wie kommt die Farbe auf den Träger?» Dabei folgt die Disposition der «Fetzen» den Freiheitsgraden im Sinne des Punk: Es geht um Widerstand und Erkenntnis, nicht um Dekoration.
«Schauen ist nicht passiv.»
Das schliesst jedoch eine ästhetische Auseinandersetzung mit dem Neorenaissancebau nicht aus: Selten harmonisierte eine Ausstellung so sehr mit den rosafarbenen Pilastern im Foyer, selten liess eine die Architekturelemente so hervortreten. Adrian Schiess nutzt die Vielfalt der Museumsräume bezüglich ihrer Proportion, ihres Lichtes und ihrer Zugänge und kann sich dabei ganz auf seine Werke verlassen: «Es ist Malerei, die sich im Raum findet und immer wieder neu findet. Das passiert beim Besucher und der Besucherin, die sich durch die physische Bewegung als Performer erleben können: als aktive handelnde Wesen. Schauen ist nicht passiv. Es gibt ein physisches und ein psychisches Erlebnis. Deshalb ist es mir wichtig, Platten ohne Bilder an den Wänden zu zeigen, weil ich die Welt draussen als Bild begreife. So eine Platte ist ein Vehikel.»
Die Platten mit ihren unterschiedlich glänzenden Oberflächen transportieren das einfallende Licht, reflektieren die Stadtlandschaft ausserhalb des Museums und bieten je nach Tageslicht, Jahreszeit und Raumausrichtung verschiedene Weltausschnitte.
Pigment und Verweigerung
Adrian Schiess hat sich entschieden, ausschliesslich das vorhandene Tageslicht zu nutzen. In den Räumen gegen Norden hin sind die Farben dank des Lichtes in einem Höchstmass ausdifferenziert. Im Oberlichtsaal ergibt die Installation von Platten in Türkistönen einen Farbenfluss über die gesamte Länge des Raumes hin. Daneben sorgen die grossen Inkjet-Prints für scharfe Farbwechsel. Diese Prints befinden sich alle in verschiedenen öffentlichen und privaten Sammlungen und wurden noch nie in dieser Form zusammen gezeigt. In den beiden östlichen Ecksälen sind je vier Chromstahlplatten zu sehen. Hier entstehen die Reflexionsphänomene auf metallischen Oberflächen. Pigmente gibt es keine, die zarten Farbtöne sind Spiegelungen: «Über den Glanz ist eine Farbe oder ein Element, ein Fragment mit der Welt verbunden und zeigt immer wieder Bilder, die nicht greifbar sind und immer das Jetzt zeigen und immer an die Betrachterinnen und Betrachter gekoppelt sind.»
In drei Sälen liegen die Platten so dicht, dass die Räume nicht betreten werden können. Schiess verweigert sich dem klassischen Ausstellungsparcours und damit dem wohlgefälligen Flanieren durch die Ausstellung. In der Verweigerung jedoch passiert Neues: Hier ist es der Akt des Schauens, der noch intensiver wird, weil nichts anderes mehr möglich ist. Auch die nicht mehr selbst durchgeführte Lackierung der Platten ist das Resultat einer Verweigerung: «Diese sogenannte künstlerische Gestik, wenn die sich an den künstlerischen Nullpunkt zurücknimmt, ist die Reizschwelle erreicht, da geschieht es. Wenn ich verweigere, was imponiert, wird es nicht mehr als Kunst wahrgenommen. Da ist Absicht dahinter, ein Misstrauen gegenüber der künstlerischen Handschrift und dem Imponiergehabe.»
Spiegel der Welt
Die Farbenpracht der Platten ist opulent, ihre Anordnung ist ausgeklügelt, ihr Gesamtklang berauschend, aber die Farbe als solche ist nicht Schiess´ Thema: «Es ging mir nie darum, Farbsysteme durchzudeklinieren. So war es mir möglich, eine Farbe – die für Maler immer auch mit Begierde verbunden ist – diese Farbe über den Glanz immer im Jetzt und mit der Welt zu verbinden. Zusammen mit dem Glanz und der Welt, die sich pausenlos niederschlägt, entsteht etwas Komplexes.» Aber auch darin bleibt Adrian Schiess nicht stehen. Im Kunstmuseum St.Gallen sind seine neuesten Platten zu sehen, direkt aus seinem Atelier in Le Locle. Ihre Oberflächen sind nicht glänzend, sondern matt. Also kaum noch Reflexionen, keine Spiegelungen mehr. Der Abglanz der Welt verringert sich und wieder ist Neues, Anderes möglich: Einige der Platten leuchten durch phosphoreszierende Farbe nach. Im Januar beispielsweise, wenn die Sonne bereits am frühen Abend untergeht, wird das Nachleuchten der Platten besonders signifikant zu erleben sein. Das lässt sich jetzt noch nicht überprüfen, aber es ist zu vermuten, dass Schiess´ Aussage über die irisierenden, changierenden Lacke auch hier zutrifft: «Für die Verwendung der Effektpigmente gibt es eine Logik aus dem Interesse am Prozess und dem Anliegen, dass sich Farbe hier der Begrifflichkeit entzieht. Mit jedem Schritt entzieht sich, was sie meinen zu sehen. Sie können nichts begreifen.»