In der Kirche Singen
by Kristin Schmidt
Das Kirchengesangbuch, immer wieder neu und in hoher Zahl aufgelegt, mit vielen hundert Seiten und Liednummern, zeigt es an: Kirche und Singen gehören zusammen, seit langem schon und nach wie vor. Aber nicht für jeden einfach so. Pfarrer Andreas Ennulat denkt viel über gottesdiensttaugliche Lieder nach und wählt keines, bloss weil es im Gesangbuch einer Feier oder einer liturgischen Zeit im Kirchenjahr zugeordnet ist. Der Gründe dafür sind zweierlei: Sowohl inhaltliche Fragen wollen bedacht sein, aber auch die Singpraxis der Gemeinde. Für Ennulat ist «nicht jedes Lied inhaltlich stimmig, nicht jedes steht mehr im richtigen Kontext oder hat die richtige Aussage». Direkte Forderungen an einen personalisierten Gott etwa entsprechen zeitgenössischen Glaubenseinstellungen nicht mehr: «Viele der Kerninhalte stimmen noch, aber was im 16., 17. oder 18. Jahrhundert sinnreich war, müsste heute anders formuliert werden». Zu den noch immer gut passenden Liedern gehören für Ennulat die Nummern 530 und 537 aus dem Gesangbuch: «Himmel, Erde, Luft und Meer» und «Geh aus mein Herz und suche Freud» machen Naturmystik allgemein verständlich, der Bezug zum personalisierten Gott ist zwar da, aber nicht um zu fordern, sondern die Schöpfung zu loben.
Das Gesangbuch wartet freilich auch mit neuem Liedgut auf, doch dieses kennen die traditionellen Gottesdienstbesucherinnen und -besucher kaum; und um es einfach zu singen, fehlt die Praxis: «Um mit der Kirchgemeinde neue Lieder einzuüben, wären Gesangstalente nötig». Zu denen zählt sich Ennulat nicht, ausserdem ist die Zahl der potentiell Mitsingenden inzwischen sehr klein: «Erst ab 25 Personen würden wieder andere Dinge möglich.» Pfarrer Ennulat sucht deshalb neue Wege, um die Gottesdienste zu gestalten: «So gab es zum Bettag einen halbstündigen Kurzgottesdienst mit Orgelbegleitung und einer Slam Poetin.» Mit musikalischen Soli oder der Orgel verleiht Ennulat nicht nur speziellen Gottesdiensten eine Struktur: «Jeder Gottesdienst ist wie ein Bauwerk. Er ist vom ersten Ton bis zum letzten Ton aufeinander abgestimmt und ergibt so ein harmonisches Ganzes.» Da kommt es auch auf die richtigen Lieder an.
Andreas Ennulat (*1955) studierte Theologie in Göttingen, arbeitete und promovierte an der Universität Bern und leitete 1991–1994 das Tagungszentrum Schloss Wartensee. Seit 2000 ist er Pfarrer der Gemeinde Wolfhalden AR und wird dort Ende 2019 pensioniert.
Obacht Kultur, No. 35 | 2019/3