Die Wucht des Belanglosen
by Kristin Schmidt
Peter Piller im Fotomuseum Winterthur
Was tun? Wie der Flut der Bilder begegnen? Künstler haben verschiedene Strategien entwickelt um mit der Übermacht der Fotografien umzugehen. Gerhard Richter beispielsweise sammelt seit 1962 für seinen «Atlas» Zeitungsausschnitte, Fotografien und anderes Material, das für ihn potentiell als Malvorlage in Betracht kommt. Überträgt der Künstler dann eine ausgewählte Fotografie in ein Gemälde, erlangt sie einen völlig neuen Status, wird einzigartig, dauerhaft und wertvoll. Oder Beni Bischof: Er stürzt sich auf die Bilderflut, attakiert sie mit Fingern, Scheren, Stiften, verwurstet und verwundet sie. Der Hamburger Peter Piller sichtet, ordnet, kategorisiert. Er nimmt das Material ernst; ernster sogar als es gemeint gewesen war. Das vom Lokalberichterstatter geknipste Bild einer Jubilarin, eines Rätselgewinners mit Geldschein oder einer leeren Gastwirtschaft war aktuell für einen Tag, in einem Ort. Es illustrierte einen einzigen, kurzlebigen Bericht. Piller isoliert das belanglose Einzelbild und stellt ihm gleichartige Aufnahmen an die Seite, er multipliziert das Banale, auf dass sich das Besondere zeige.
Piller ist Fotograf. Auf der Suche nach seinem spezifischen Bild kam er zum vorgefundenen Bild: Er wollte eine ausgewogen leere Situation fotografieren. Da stiess er in Lokalzeitungen auf Aufnahmen von sogenannten Bauerwartungsflächen; also von Brachen, Wiesen und Randzonen, die demnächst bebaut werden sollten. Zonen des Übergangs, nicht leer, aber auch nicht besetzt, noch nicht. Sie strahlen Stille aus und zugleich die eigentümliche Spannung des Kommenden. Dass Piller anhand dieser Aufnahmen einen Typus herausarbeiten konnte, lag an der Menge der verfügbaren Fotografien und diese wiederum an seinem Studentenjob. Während seines Kunststudiums arbeitete er in einer Hamburger Medienagentur. Dort prüfte er im Auftrag regionaler Werbekunden und Firmen, wo und in welcher Form die von ihnen geschalteten Anzeigen erschienen waren. Er hatte deutschlandweit Regionalzeitungen zu durchforsten. Bei der täglichen Presseschau begann Piller neben seinem eigentlichen Auftrag fotografische Verwandtschaften zu entdecken: Feuerwehrleute, deren Schutzanzüge beim Fotografiertwerden reflektierten, Lokalpolitiker vor geöffneten Dolendeckeln oder beim Durchschneiden von Einweihungsbändern, Autos berührende Menschen oder eben leere Stellen.
Wenn Andere sagen, da sei nichts Interessantes drauf, beginnt Pillers Arbeit. Wiederholt und konzentriert betrachtet er die Gebrauchsfotografien und filtert ihre verborgenen Qualitäten heraus. Selbst dort, wo kein Gegenstand gemeint ist, oder an den Rändern der Motive legt er Konzepte offen, die ursprünglich nicht beabsichtigt worden waren.
Aber ist sind diese Ordnungssysteme geeignet, das grosse Ganze zu bewältigen? Zielen sie überhaupt darauf ab? Peter Pillers Werk eignet eine grundsätzliche Skepsis. Seine Klassifizierungen sind willkürlich und Ausdruck seines individuellen Blicks. Jederzeit bleibt bewusst, dass sich unzählige andere Kategorien finden liessen: «Mir geht es nicht um die Wahrheit. Mein Archiv ist nicht objektiv».
Inzwischen werden Piller Archive angeboten. Etwa dasjenige einer Schweizerischen Versicherungsgesellschaft. Entstanden ist daraus die Gruppe «nimmt schaden.» Wo der Schaden ist, spielt auch hier weniger eine Rolle als das, was sonst noch ins Bild gerät – unbeabsichtigt oder unbeachtet. Diese Serie ist ebenso im Fotomuseum Winterthur zu sehen wie die Archivauswahl aus dem Nachlass einer Luftbildfirma. Damals wurden Siedlungen überflogen, um mit einer Mittelformatkamera aufgenommene Eigenheimbilder anschliessend den stolzen Hausbesitzern verkaufen zu können. Jene Fotos waren beschnitten, bei Piller hingegen ist die ganze architektonische Langeweile zu sehen, die nassen Flecken unter frisch gewaschenen Autos oder die adretten Plättlipfade durchs kurzgeschorene Grün. Gerade die Langeweile führt Piller zum Entdecken: «Dann bin ich nicht mehr anfällig für Vordergründiges.» Bis dieser Zustand eintritt, ist viel Energie nötig, auch Langeweile muss man sich erarbeiten. Immerhin umfasst der Nachlass dem 20´000 Bilder. Das Fotomuseum zeigt den bisher grössten Ausschnitt der daraus entstandenen Gruppen. Es ist die erste Überblicksausstellung von Pillers Arbeit überhaupt. So sind neben den Archiven auch die Stadtumwanderungen oder die Fotografien aus dem fahrenden Auto zu sehen, zudem Postkarten und Kleinpublikationen.