Atomenergie und Zungenküsse
by Kristin Schmidt
Die deutsche Künstlerin Maria Eichhorn hat ihre erste grosse österreichische Ausstellung in Kunsthaus Bregenz. Sie behandelt Fragen zu Energie und Kapital.
„Das Vorstandsmitglied Maria Eichhorn hat Einzelvertretungsbefugnis und ist befugt, Rechtsgeschäfte mit sich als Vertreter Dritter abzuschliessen.“ – Amtssprache wie aus dem Lehrbuch, Absicherung bis ins Detail und für jeden Fall. So wird ein Sachverhalt juristisch aufbereitet, jener nämlich, dass die Künstlerin Maria Eichhorn eine Aktiengesellschaft gründete, und zwar mit ihrem Ausstellungsetat zur Documenta 11 in Kassel. Jetzt sind die Unterlagen zur Amtshandlung im Kunsthaus Bregenz ausgestellt. Eichhorn hat dort ihre erste grosse Einzelausstellung in Österreich und präsentiert auf drei Stockwerken vier grosse Werke oder besser Werkkomplexe, denn Eichhorns Arbeit fusst einerseits auf umfassenden Recherchen, greift geografisch weit aus oder funktioniert über längere Zeiträume hinweg. Zum Beispiel in der St.Galler Mühlenenschlucht: Dort hatte sie anlässlich des Gallus-Jubiläums vor zwei Jahren eine Zeitkapsel versenkt, die in 1400 Jahren wieder zum Vorschein kommen wird, wenn das Wasser den Fels bis auf ihre Höhe abgetragen hat.
Die Aktiengesellschaft gibt es erst seit 14 Jahren. In dieser Zeit ist bereits einiges an Schriftverkehr angefallen. Zudem findet jedes Jahr eine Hauptversammlung statt, die gleichzeitig eine Vollversammlung ist. Welche Möglichkeiten dies zur Beschlussfassung lässt, aber auch, welche Einschränkungen sich die AG auferlegt, zeigt Eichhorns neue Installation der Arbeit. Vor allem aber bietet sie Anlass darüber nachzudenken, wie Kunst und Kapital verknüpft sind.
Und wie verhält es sich mit Kunst und Kernenergie? Auf den ersten Blick hat das wenig miteinander zutun, wenn aber im Werk «Vorhang (Denim)» Fragen zur Atomkraft gestellt werden und es beispielsweise um die Einsparmöglichkeiten bei Klimaanlagen geht, geraten unweigerlich auch die Ausstellungshäuser in den Fokus. Maria Eichhorn stösst solche Denkprozesse an, ohne die Richtung vorzugeben. Ihre Stärke liegt darin, nicht zu kommentieren, sondern zu informieren und zu reflektieren. Sie wählt die Themen aus, präsentiert sie in präzisen, durchgestalteten Anordnungen und richtet die Aufmerksamkeit auf Grundsatzfragen.
Allerdings können sich in der Auswahl der Themen durchaus Irritationen ergeben. Wenn in Bregenz etwa nur Atomkraftgegner zu Wort kommen und im Stockwerk darüber der Vorarlberger Rutengänger Michael Berbig seinen grossen Auftritt erhält, so ist das eine zweideutige Nachbarschaft. Berbig ist darauf spezialisiert, Wasseradern und Quellen aufzuspüren, Erdstrahlungen und kosmische Strahlungen aufzuzeigen. Es gelingt Eichhorn, die Tätigkeit des „Quellemichl“ in einer offen, klaren Form zu visualisieren, die obendrein einlädt, selbst eine sogenannte Zeigerute auszuprobieren.
Wie nicht anders zu erwarten, kommt auch Maria Eichhorns „Filmlexikon sexueller Praktiken“ ausgesprochen sachlich daher. Zwar wird mit den 16-mm-Filmen ein technischer Anachronismus inszeniert, aber gerade dadurch reagiert auch diese Arbeit perfekt auf die klare Architektur Zumthors.