Klang der Erde – Keramik in der Kunst

by Kristin Schmidt

Appenzell — Marcel Duchamps «Fountain» ist ein Dauerbrenner. Nicht nur für die Kunstwissenschaft, sondern auch für die Kunst selbst. Sherrie Levine, Saâdane Afif, Bethan Huws und Andere haben das umgedrehte Urinal kommentiert, transformiert, persifliert. Auch Lindsey Mendick hat ihre Version dazu entwickelt, in weiss und aus Keramik – genau wie das Original, allerdings bestückt mit männlichen Genitalien, ebenfalls aus Keramik. Lustvoll untergräbt die englische Künstlerin in ihren Werken gängige Stereotypen: Ob Vasen, Pissoir oder Handtaschen – was nützlich war, wird burlesk, was männlich oder weiblich konnotiert war, fällt aus der Rolle oder wird ins Absurde überdreht. Auf Bierdosen sitzen Zigaretten rauchende Frösche. Schnecken, Würmer und Gummibärchen besiedeln ein irdenes Gefäss. Alles ist überzogen mit dick aufgetragener Glasur in üppigen Farben. Mendicks opulente Arbeiten sind derzeit im Kunstmuseum Appenzell in einer Gruppenausstellung zu sehen. Gemeinsamer Nenner der gezeigten 13 Positionen ist das Material: «Klang der Erde» widmet sich der Keramik in der zeitgenössischen Kunst.

Die Spannbreite reicht von Cristian Andersens gegossenen Plastiken, die sich auf Materialien aus dem Baugewerbe beziehen, über Clare Goodwins vielschichtige Assemblagen aus eigens gefertigten Kacheln und sorgsam ausgewählten Möbelfragmenten bis hin zu den skurrilen Lampen von Carmen D´Apollonio. Mal wird die Grenze zur Gebrauchskeramik ausgelotet, mal werden organische Materialien nachbildet oder es werden historische Bezüge hergestellt. Shahpour Pouyan beispielsweise platziert knapp unter dem Spitz des Sheddachs zwei Figuren, die gotischen Wasserspeichern gleichen. An anderer Stelle zeigt er Fantasiebauten aus Ton, die sich auf archetypische Architekturformen beziehen. Von dem in London lebenden iranischen Künstler haben Stefanie Gschwend, Direktorin des Museums, und Felicity Lynn, Fachbereichsleiterin Gestaltung und Kunst an der Hochschule der Künste in Bern, wie von allen anderen Beteiligten mehrere Werke ausgewählt. Ausserdem haben sich die beiden Kuratorinnen entschieden, die Künstlerinnen und Künstler in unterschiedlichen Nachbarschaften zu präsentieren. Zwar setzen sie in den elf Museumsräumen Themen wie «Beseelte Alltagsobjekte», «Geometrie und Lyrik» oder «Verletzliche Körper. Starke Körper». Aber diese funktionieren eher wie Interpretationsanstösse, als dass sie zwingende Kategorisierungen vornehmen. Deshalb lassen sich alle Positionen mehreren Themen zuordnen und beweisen damit die Offenheit der inhaltlichen Konzepte. Im Mittelpunkt steht ohnehin das Material: Keramik eignet sich für gewagte Konstruktionen, kann aber auch wunderschön zusammensacken. Unglasiert präsentiert sich der archaische Rohstoff, Glasuren hingegen kommen in verschwenderischer Pracht, in triefenden Kaskaden oder präzise aufgetragen daher. Die Ausstellung präsentiert einen sehenswerten Ausschnitt dieser Vielfalt.


Kunstmuseum Appenzell bis 14.9.
kunstmuseum-kunsthalle.ch