Zwischen Schlaf und ewiger Ruhe: Die Installation in der Kunsthalle Arbon ist rätselhaft und poetisch
by Kristin Schmidt
Der Zürcher Künstler Paulo Wirz hat die Kunsthalle Arbon in ein Traumland verwandelt: Seine detailreiche Installation verbreitet in der ehemaligen Industriegebäude eine geheimnisvolle Stimmung.
Raus aus dem gleissenden Sonnenlicht, hinein ins Dunkel der Kunsthalle Arbon: Hier hat der Künstler Paulo Wirz einen stillen Kontrast zur bunten Sommerwelt inszeniert. Von der zweihundert Meter entfernten Badi Arbon kündet lautstarkes Lachen und Rufen; in der ehemaligen Lagerhalle dagegen verleitet die Ausstellung «Dormitórios» zum andächtigen Flüstern. Der grosse Raum ist ganz in Dunkel gehüllt. Einzig fünf tief hängende Glühbirnen verbreiten ein warmes, spärliches Licht. Sie gehören zu einer Installation, die ebenso rätselhaft wie poetisch ist.
Wachs versus Beton
Kerzen, Flaschen, Gläser, Silberbesteck, Dosen voller abgebrannter Zündhölzer, voller Würfel oder Knöpfe – einfache Gegenstände sind in langen Geraden aufgereiht. Einzelne der Flaschen und Gläser sind aus Beton gegossen. Wie versteinert stehen sie in deutlichem Kontrast zu ihren Zwillingen aus Glas. Während letztere die Vergänglichkeit zeigen – einige sind bereits zerbrochen und ihre Scherben auf dem Boden verteilt – formen die Betonobjekte ein Stückchen Ewigkeit.
Zwischen den Alltagsgegenständen finden sich Hände aus Bronze, mit Wolle umwickelte Knäuel aus Gras, Äpfel, Birnen und Trauben aus Wachs. Der Künstler hat dafür die Früchte in Wachs getaucht und sie anschliessend im Freien liegen lassen: Insekten haben das Innere gefressen, die Wachshülle ist geblieben. Wie die Kerzen und die zerbrochenen Gläser erzählen die Früchte von Schönheit und Vergänglichkeit.
Kultobjekte und Rituale
Immer wieder in der langen Reihe tauchen die Gegenstände in kleinen Variationen und rhythmischer Wiederholung auf. Mit ihrer Anordnung formen sie ein grosses Rechteck, das wiederum in kleinere rechteckige Segmente unterteilt ist: Paulo Wirz deutet damit einen Grundriss aus einzelnen Zimmern oder Räumen an und gibt mit dem Ausstellungstitel weitere Hinweise: Dormitório ist ein Schlafzimmer oder ein Schlafsaal. Aber auch Friedhöfe wurden in der Antike so bezeichnet. Die enge Verbindung zwischen dem Schlaf und der ewigen Ruhe ist dem in Zürich lebenden Künstler wichtig. In Brasilien ist er in einem Haus aufgewachsen, das neben einem Friedhof lag. Und er interessiert sich bis heute für die Rituale und Bräuche der afrobrasilianischen Religionen und für ihren Umgang mit den Themen Leben und Tod. Mit Bedeutung aufgeladene Gegenstände spielen darin eine wichtige Rolle.
Mystische Stimmung in der Lagerhalle
Paulo Wirz untersucht den Unterschied zwischen profanen Dingen und Kultobjekten: «Dinge haben nur eine Kraft, wenn wir an diese Kraft glauben.» Auch die Inszenierung der Dinge verleiht ihnen Kraft. Denn durch sie werden die Gegenstände ihrer Alltäglichkeit enthoben und können einen sakralen Charakter entfalten. Wirz´ Kunst zeigt dies anschaulich: Ihr gelingt es, in dem alten Industriebau mit seinem kaputten Asphaltboden eine mystische Stimmung zu verbreiten. Auch der sprichwörtlich gewordene rote Faden gehört zu dieser effektvollen Installation. Mit ihm verbindet der 1990 geborene Künstler alle aufgereihten Gegenstände: Der rote Wollfaden führt von einem Objekt zum nächsten, umschlingt ein jedes und verbindet alle miteinander. Anders als Ariadnes Faden in der griechischen Mythologie führt er nicht aus dem Labyrinth heraus, sondern hält alles zusammen: Das Fragile und das Stabile, das Ewige und das Endliche. Nur an einer Stelle ist der rote Faden unterbrochen: Hier ist der Eintritt in diese magische Inszenierung.