Kinderfest: Bauen für einen Tag

by Kristin Schmidt

Das St.Galler Kinderfest hat keinen festen Termin und keine festen Bauten. Aber es hat eine bis ins Jahr 1824 zurückreichende Tradition, eine Wiese und einen Rhythmus. Alle drei Jahre findet das Fest im Frühsommer statt, dann wenn die Wiese trocken genug ist, um Zehntausenden von Besucherinnen und Besuchern und 5‘000 teilnehmenden Kindern Stand zu halten. Das verlangt Flexibilität nicht nur im Privat- und Geschäftsleben der Stadt und der Stadtverwaltung, sondern auch bei der Festinfrastruktur. Einfache Holzelemente unter weissroten Stoffbahnen bestimmen das sommerliche Bild der temporären Bauten.

Die Kinderfestwiese ist Landwirtschaftsfläche. Auf dem grünen Höhenzug nördlich der Stadt gedeiht Viehfutter, weiden die Kühe. Nur einmal in drei Jahren wird die Wiese in einen Festplatz verwandelt, einen Festplatz für einen Tag. St.Galler Schülerinnen und Schüler ziehen dann durch die Innenstadt auf den Rosenberg hinauf und bis zu 50‘000 Personen verfolgen die an den Schulen einstudierten Bühnendarbietungen, essen Kinderfestbratwürste, spazieren über die Wiese, treffen Freunde und geniessen den festlichen Anlass. Doch wenige Tage später ist die Fest- wiese wieder Futterwiese – für knapp zweieinhalb Jahre, bis anfangs April der Aufbau der Infrastruktur wieder beginnt.

Alles muss mobil sein, leicht, gut zu zerlegen und zu montieren – und bei Bedarf mit geringem Aufwand zu ersetzen, denn nicht erst einmal ist schon in der Aufbauphase für das Kinderfest ein Unwetter in die 300 Dächli hineingefahren, hat die Stoffbahnen zerfetzt und Latten abgerissen. Doch nicht nur Sturm setzt den Kinderfestbauten zu, die Sonne bleicht die weiss-roten Stoffbahnen aus, der Regen wäscht Senken in den Bühnenboden. Dennoch: Die Bühnen sind zuerst dran – sowohl in der Aufbauphase als auch vorab in der Planung. Da sie für jedes Kinderfest neu erstellt werden, erfolgt bereits Monate vor dem Kinderfest die Ausschreibung; ebenso für die Beschallung, die Technik muss schliesslich für mehrere Wochen reserviert werden, denn ob das Kinderfest bereits am ersten geplanten Durchführungstag stattfinden kann, ist ungewiss – der St.Galler Sommer folgt eigenen Regeln.

Der Platz der Bühnen wird bereits im Spätherbst definiert. Dies ist nicht einfach im nebligen November auf nasser, kalter, grosser Wiese. Da ist der Übersichtsplan vom Areal ein Hilfsmittel. Bodenunebenheiten und Baumwuchs sind nicht nur Orientierungsmarken, sondern für den Aufbau zu berücksichtigende Faktoren. Wird eine Bühne zu weit in die Wiese hinein gebaut, verkleinert sich der Platz fürs Publikum. Wird sie zu weit nach hinten versetzt, ist das Gelände zu abschüssig. Ist der rechte Ort gefunden, werden die Koordinaten gespeichert. Pflöcke werden noch keine eingeschlagen. Denn die Wiese soll so lange wie möglich geschont werden. Daher dürfen auch keine fremden Fahrzeuge über die Wiese fahren, der Bauer erledigt alle Transporte für die Aufbauten.

Stehen die Bühnen, folgt der Aufbau der Bänke und Tische. Auch hier ist Augenmass gefragt. Manche der Elemente sind gut zu identifizieren, die Dachwinkel beispielsweise oder auch die fest verbundenen Bank-Tisch-Winkel. Anderes ist nicht so leicht zuzuordnen und wird alle drei Jahre neu montiert. Mehr als 250 kg Nägel und einige Schrauben sind dafür nötig und eine gehörige Portion Erfahrung. Das gesamte Material, die Pfosten, Bänke, Latten, Stoffe, Bretterböden, Zäune und die 99 Fahnenstangen sind in zwei Scheunen auf der Kinderfestwiese eingelagert; auch die Hauswarttische und die hölzernen Trinkbrunnen, die so manchen vielleicht noch nie aufgefallen sind. Meterweise wird aufgebaut.

Bis zu zehn Bühnen- und Gerüstbauer, mehr als ein Dutzend Zimmermannsleute aus drei verschiedenen Betrieben sind an der Arbeit. Zusätzlich befestigen bis zu 20 Dekorateure 6 Kilometer Stoffbahnen. Alles ist vor dem ersten Durchführungstermin parat. Auch die Vorhänge, die Fähnchen am Bühnenrand oder Kreuzchen auf dem Boden für die Aufführungen. Zwei Scheunen sind in Sanitätsposten verwandelt. Strom und Wasser stehen bereit. Dann beginnt das Warten, denn das Wetter lässt sich nicht planen. Drei Tage lang muss die Wiese trocken sein, damit nach dem Kinderfest möglichst schnell alles wieder wie vorher ist.

Baudokumentation Stadt St.Gallen | Hochbauamt, 2015 | N° 183