Prozesshafte Plastik: Phyllida Barlow und Richard Deacon
by Kristin Schmidt
Komplexe Gestaltung, aufwendige Arbeitsprozesse, unkonventionelle Formen und Farbigkeit – Phyllida Barlow und Richard Deacon interessiert, wie Materialien sich verhalten. Die Koinzidenz zweier unabhängig voneinander entwickelter Ausstellungen erlaubt eine vergleichende Betrachtung beider Werke und zeigt spezifische Unterschiede.
Beide gehören zu den Grossen der internationalen Bildhauerszene, beide arbeiten seit über vierzig Jahren an ihrem plastischen Werk, beide loten die Möglichkeiten des Materials aus, ohne einem vorgefassten Formgedanken zu folgen. Gemeinsamkeiten zwischen Phyllida Barlow und Richard Deacon gibt es einige, doch zahlreicher noch sind die Unterschiede. Daher ist die Gleichzeitigkeit der beiden monografischen Ausstellungen in der Lokremise St.Gallen und im Kunstmuseum Winterthur ein Glücksfall. Und es passt ebenso gut, dass Phyllida Barlow (*1944) in der noch immer nachwirkenden Arbeitsatmosphäre des ehemaligen St.Galler Lokomotivdepots zu sehen ist und Richard Deacon (*1949) im hochästhetischen, reduzierten Ambiente des Winterthurer Museumsanbaus von Gigon Guyer.
Bei Phyllida Barlow wuchert und quillt es. Die britische Künstlerin rezykliert und kumuliert. Alles birgt Veränderungspotential, könnte weiterwachsen und noch stärker in den Raum hineingreifen – und das obwohl Barlow für diese Schau bestehende Werke aus unterschiedlichen Werkgruppen kombiniert und nicht wie sonst (beispielsweise in der letztjährigen Ausstellung in der Tate Britain) Plastiken eigens für den Raum entwickelt. Auch den bestehenden, abgeschlossenen Werken eignet ungebändigte Dynamik und ein provisorischer, unfertiger Charakter. Die Oberflächen sind rau, die Materialien disparat. Plastik trifft auf Karton, Filz auf Zement, Styropor auf Holz. Kunststoffbänder bilden unentwirrbare Knäuel, rosafarbene Stofffetzen drängen aus kolossalen Baumaterialbällen. Formen sind aufgebrochen oder zu fragilen Haufen getürmt. Ganz anders bei Richard Deacons in den letzten 10 Jahren entstandenen Werken. Statt der Lust am Vermengen und Häufen dominiert die Freude an der Finesse, statt schrundiger Oberflächen die geschliffene oder glasierte Haut. Deacon betont die Qualität des Materials, indem er es gerade nicht seinen Eigenschaften gemäss verwendet, sondern es manipuliert und die Grenzen dessen auszulotet, was sich mit Holz oder keramischen Werkstoffen konstruieren lässt. Dies wirkt bisweilen manieriert, mündet aber letztlich im spannungsvollen Inszenieren von linear umschriebenen Zwischen- oder Binnenräumen. Das Verhältnis von Innen und Aussen ist Deacon ebenso wichtig wie das physisch Vorhandene. Dessen Gestalt ergibt sich besonders bei den Keramiken erst während des Arbeitsprozesses. Und hierin gleichen sie schliesslich den ungestümen Werken Barlowes.
Lokremise St.Gallen: bis 8. November
Kunstmuseum Winterthur: bis 22. November