Sylvia Sleigh
by Kristin Schmidt
Sylvia Sleigh steht ausserhalb ihrer Zeit und mitten drin. Ihre Malerei lässt sich keiner zeitgleichen Kunstströmung zuordnen, aber Sleigh war mit denselben Schwierigkeiten konfrontiert wie alle Künstlerinnen ihrer Zeit. Mehr als 7 Jahrzehnte lang malte sie gegen künstlerische und gesellschaftliche Konventionen.
Eine posthume Retrospektive? Das passt nicht ins übliche Verständnis eines Kunsthallenprogramms. Wenn also in der Kunst Halle Sankt Gallen Sylvia Sleigh präsentiert wird, überrascht das zunächst. Ein Gang durch die Ausstellung zeigt jedoch, dass sie mehr ist als der Rückblick auf ein Lebenswerk.
Sylvia Sleigh (1916–2010) war eine ungewöhnliche Künstlerin, eine die sich von Anfang an der Figuration widmete und keine Konzessionen an gängige Stile machte. In einer Zeit, als die malerische Geste, der Zufall, die Art und der Prozess des Farbauftrags gefeiert wurden, entwickelte sie ihre kompositorische Strenge und ihren offenen Blick für das Individuum. Sleighs sinnlich kühne Porträts sind mehr als harmlose Bildnisse von Künstlerkollegen und -kolleginnen. Sie entspringen einem Diskurs über Macht, Repräsentation und Gender. Sie unterwandern den objektivierenden, neutralen Blick des Künstlers auf sein zumeist weibliches Modell durch die Lust an der Schönheit des männlichen und weiblichen Aktes und an seiner Natürlichkeit, durch eine Neubewertung des Ganzkörperporträts und durch ihre grosse Aufmerksamkeit für sämtliche Bildelemente. Den Gemälden eignet eine Oberflächen- und Detailverliebtheit, die der Ausstrahlung der Porträts und nackten Leiber in Nichts nachsteht.
Diese Hingabe an Gestalt und Dekor war der Ausgangspunkt für Martin Leuthold. Der St. Galler Textildesigner entwickelte aus der Opulenz der Farben und Muster heraus das Ausstellungsdesign für die Präsentation in der Kunsthalle. Für die Stellwände gestaltete er Tapeten auf der Basis einzelner Bildmuster oder -gegenstände wie etwa kleiner Stiefmütterchenblüten. Andere Wände sind in Leuchtfarben gestrichen, die Stirnseiten tragen mal die Farbe, mal das Muster weiter. In einem Raum überzieht schillernde Folie die Wände und die riesenhaft vergrösserten Motive darauf.
Farben und Formen aus den Gemälden verselbständigen sich. So wird die Retrospektive zum Projekt über die Präsentation über Malerei. Dies gilt umso mehr, als dass die Schau insgesamt fünf Stationen hat und überall eine andere Auslegeordnung versucht wird. In der Tate gäbe es nicht nur verblüffende Parallelen zu den Präraffaeliten zu entdecken, sondern die Werke passen in der Tate Liverpool zur zeitgleichen Ausstellung „Glam! The Performance of Style“.
In St. Gallen wird die ästhetische Kraft der Bilder getestet. Statt Sleighs Affinität zum Dekorativen blosszustellen, wird sie aufgenommen und in der Inszenierung noch gesteigert. Die Bilder halten das aus: Malerei und Präsentation gehen eine perfekte Symbiose ein.