Gleitschirmflieger im Sennenstreifen

by Kristin Schmidt

Die aktuelle Ausstellung im tartar erforscht die Tradition der Appenzeller Senntumsmalerei und erlaubt dabei Nebenblicke in die Medien Fotografie, Plastik und Skulptur.

Sie stehen mit beiden Beinen auf der Erde, mit Beinen wie zwei Säulen, deutlich grösser proportioniert als der übrige Körper. Menschen mit solchen Beinen wirft so schnell nichts um.

Fredy Ritter verleiht seinen braun behosten Sennen rechten Halt in der Welt. Zwar wirken sie weniger statisch als schematisierte Sennendarstellungen, doch gleichzeitig strahlen sie als Motiv eine Präsenz aus, die nicht selbstverständlich in der Bauernmalerei ist. Dies lässt sich in der aktuellen Ausstellung der Galerie tartar Kunstformen gut nachvollziehen. Unter dem Titel „Senntum et Novum“ zeigt Martin Jedlitschka eine breit angelegte Auswahl von Bildern, die mal mehr, mal weniger mit Sennenmalerei zu tun haben und auch Gebirgsdarstellungen, Landschaftsskizzen des ehemaligen Vorstehers des Innerrhoder Finanzdepartements, Josef Moser, oder Einzelbeispiele aus Mäddel Fuchs‘ 2010er Fotoserie „Hag um Hag“ umfassen.

Wie schon in den vergangenen Ausstellungen der Galerie wirken die gezeigten Arbeiten in ihrer Qualität sehr heterogen. Der Galerist verzichtet konsequent auf Wertungen und zeigt weitläufige Assoziationen zum Thema Brauchtum und was er dazu versammeln konnte, denn nicht alle gewünschten Arbeiten waren verfügbar. Insgesamt dominiert der Eindruck, weniger wäre mehr gewesen und eine strengere Auswahl der Werke würde nicht nur dem Gesamtcharakter der Präsentation, sondern auch den einzelnen Arbeiten zugute kommen.

Doch wer sich mit Zeit und Muse auf die Ausstellung einlässt, wird gleichwohl einiges entdecken, das einer Betrachtung lohnt. Die Fahreimerbödeli und Bilder Fredy Ritters fallen in diese Kategorie ebenso wie so manches anonyme Werk aus früheren Zeiten. Etwa jenes Portrait eines gelben Bauernhauses. Es ist keineswegs perfekt bis ins Detail ausgearbeitet, doch was dem Besitzer wichtig war, hat der Maler hervorgehoben: Die Vorhänge hängen aussen vor den Fenstern und erzählen so einiges vom Stolz ihrer Besitzer. Auf aktuellen Bildern sind es andere Details, die ins Auge fallen. So negieren einige Maler zeitgenössische Details vollständig, während andere sie ganz selbstverständlich in den sennischen Ausdruck integrieren. Eine Kinderschaukel, Badende im Seealpsee, Gleitschirmflieger über der Ebenalp oder die Plakette im Ohr der Kuh sind kein Problem, sondern Beiwerk im Sinne der Gegenwärtigkeit.

Von einigen Künstlern sind grössere Werkgruppen versammelt. So lässt sich beispielsweise die reiche Bildwelt Erich Straubs erkunden. Feinfühlige Porträts von Mensch und Tier stehen neben phantastischen, farbenfrohen Traumszenen: „Der Appenzeller im Himmel“ wird begleitet von einer sich selbst melkenden Kuh.

Ein grosses Konvolut zeigt die Ausstellung von Mathias Krucker, kurz KUK. Der junge Schwellbrunner zeigt eine erfrischend unkonventionelle Sicht aufs Senntum. Seine Protagonisten sind mehr Cowboys als Bauern, die Rinder kommen auf extrem hochformatigen Einzelbildern in Frontalansicht als wilde Urwesen daher, wird der Leib der Kuhskulptur geöffnet, entpuppt sich der Kasten als Bar.

In der Besucherinformation heisst es unter anderem „Am Alpstein hat sich eine ganze Heerschar von Artisten formiert, welche mit ihrer Kunst einen artifiziellen Zaun um ihr liebstes Kulturgut legen, auch um dieses vor den entrückenden Einflüssen des Neuen zu schützen.“ Ohne diese klischeebehafteten Malereien zu diskreditieren, zeigt die Ausstellung, wie sich Tradition anverwandeln lässt, indem ein offener Blick für die Realität bewahrt wird.