Mal verklärt, mal plakativ
by Kristin Schmidt
In der aktuellen und ersten Ausstellung im neugegründeten „tartar“ wird Kunst aus den Zeiten vor und nach dem Fall des Eisernen Vorhanges gezeigt.
Die Kuh als ästhetisch bedenkliches Ding: Immer wieder tauchen sie und ihre Polyesterschwestern, ihre Verwandten in Bären-, Löwen- oder Pferdeform als Innenstadtmöblierung auf. Der Anspruch dieser Tierparaden als Kunst im öffentlichen Raum befremdet. Auch dann, wenn eines dieser quietschbunten Exemplare den Eingangsbereich eines Ausstellungsraumes ziert.
Martin Jedlitschka jedoch hat keine Berührungsängste. Weder gegenüber Kunststoffkühen, noch gegenüber Revolutionskitsch. In der ersten Ausstellung im neueröffneten Kunstraum tartar in St. Gallen will der Zürcher Kunsthändler unter dem Titel „Von Stalin bis Medwedew. Impressionen Russischer Kunst“ nichts weniger als eine Zeitreise von den fünfziger Jahren bis heute unternehmen. Den Beginn machen Werke des sozialistischen Realismus wie ein Porträt Lenins am Schreibtisch, eine historisch nicht ganz korrekte Darstellung des zweiten Parteitages 1907 in London oder eine idealisierte Szene auf usbekischen Baumwollfeldern.
Ganz gleich, ob ein singender Partisan oder ein Diktator verklärt wird oder ob Studierende aus allen Sowjetteilen fröhlich vereint in Tracht marschieren – diese Bilder sind nicht als Kunstwerke, sondern als Zeugen einer Epoche interessant. Jedlitschka nennt sie zu Recht Zeitdokumente und stellt ihnen Werke gegenüber die nach dem Ende ebendieser Epoche entstanden sind. Wenn er dafür den Begriff der russischen Moderne oder Avantgarde gebraucht ist dies allerdings etwas irreführend, da dieser eigentlich vergeben ist für die neuen künstlerischen Strömungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Etwas davon klingt auch in der Ausstellung im tartar nach: Die Bilder von Alexey Novikov erinnern sehr an die späten figurativen Werke Malewitschs, die freilich auch schon nicht mehr der Avantgarde zuzurechnen sind. Vereinfachte geometrische Formen werden zu Figuren zusammengesetzt. Wie Malewitsch bevorzugt Novikov bäuerliche Motive. Wurden Malewitschs Bilder als Vorahnung der Zerstörung der bäuerlichen Welt interpretiert, so hat sich diese in Novikovs Werken vollzogen: Ohne Bodenhaftung fliegen die Gestalten durch den (dörflichen) Raum. Novikovs Sohn Igor dagegen schlägt ganz andere Töne an. Er malt sozusagen tagesaktuell. In seinen früheren Werken, die vor dem Fall des Eisernen Vorhangs entstanden, thematisiert er die Isolation des Individuums, seine Verlorenheit dunklen Zeiten. Inzwischen wohnt er in der Schweiz und befasst sich malerisch mit Minarettabstimmung, Burkaverbot oder der Schieflage der Grossbanken. Waren in den früheren Bildern die stilistischen Anklänge an de Chirico, Magritte oder Miró eher Mittel zum Zweck, so sind Kunstzitate in seinen aktuellen Bildern zentraler Teil der Bildaussage, wie jener hodlersche Holzfäller am Minarettsymbol. Etwas weniger plakativ geht es beispielsweise bei Podlipsky zu, der mit meteorologischen Karten die politische Tauwetterlage visualisiert oder in Dimitrovs Überarbeitungen von Zeitungsseiten mit Gagarin- oder Stalinbildnissen.
Wieder ganz im Hier und Heute arbeitet Marco Pallanda, der etwa einen Verdacht wörtlich nimmt und Medwedew als Marionette Putins zeigt.
Das Spektrum der Ausstellung ist sowohl stilistisch als auch inhaltlich denkbar breit – der Auftakt im tartar ist mit grosser Kelle angerichtet.