Das Unfassbare am Schwanz gepackt
by Kristin Schmidt
In der Ausstellung «Mit Seife und Gabeln» im Kunstraum Kreuzlingen sind dreissig Positionen zu sehen. Alle kreisen um die unkontrollierbare oder auch tragische Seite des Glücks.
Solltest du wirklich ein Schlarg einmal finden, bring’s jedenfalls heim!/Gib ihm Haferkornschleim!/Denn es dient dir, um Licht zu entzünden./Jage das Schlarg deshalb mit kleinen Terzen,/mit Gabel und Hoffnung, mit Seife und Scherzen!/Jage das Schlarg!/Jag‘ es mit Güte und mit Fingerhüten![…]/Und lock es mit Lächeln in Tüten! – Michael Ende, nach Lewis Carrolls «Hunting of the Snark»
Für die einen ist es der Schlarg, für die anderen der Schnatz, für Lewis Carroll ist es der Snark, dem sie hinterherrennen, die lieben Leute, den sie aber nicht finden. Den sie zu bezirzen versuchen oder zu bestechen, zu zwingen oder zu kaufen. Die Meisten jedoch nennen dieses unfassbare und doch so ersehnte Etwas: Glück.
Tanja Trampe und Daniela Petrini forschen dem Glück seit über drei Jahren nach, dem Glück als Phänomen, seinen ganz unterschiedlichen Ausprägungen und Gefährdungen.
Die beiden Absolventinnen der der Zürcher Hochschule der Künste arbeiten seit ihrer Diplomarbeit über «Ermittlungen über das hartnäckig-formidable und kreative Potential des parasitären Prinzips» zusammen. Nun wäre es naheliegend gewesen, das Ergebnis der Recherchen, den sogenannten kompletten Glückskomplex im Rahmen einer Ausstellung zu präsentieren, doch das entspräche nicht dem Parasitären Prinzip, dem sich die beiden verschrieben haben. Sie arbeiten als data | Auftrag für parasitäre* Gastarbeit und wollen sich nachhaltig einnisten, ausbreiten und vor allem Denkanstösse geben. Deshalb wurden andere Künstlerinnen und Künstler zur Mitarbeit gebeten. In der Ausstellung «Mit Seife und Gabeln» im Kunstraum Kreuzlingen werden 30 von ihnen nun zu sehen sein.
Ein umfangreiches Projekt also zu einem noch viel umfangreicheren Thema. Da kommt es auf eine gute Struktur, einen Ansatzpunkt an, der das Ganze weder beliebig, noch zu verkopft daherkommen lässt. Die beiden Frauen aus Zürich und Lörrach widerstanden erfolgreich der Versuchung, wissenschaftliche Fakten abzubilden oder gar zu viele Facetten eines ohnehin kaum greifbaren Zustandes erfassen zu wollen. Statt dessen fanden die beiden Künstlerinnen und Kuratorinnen einen literarischen Ausgangs- und Kernpunkt für ihre Glückssuche: Schon 2003 stiessen sie auf Lewis Carrolls «The Hunting of the Snark» von 1876, im Untertitel «Eine Agonie in acht Krämpfen». Geleitet von einem Ausrufer segeln acht unglückliche Glücksuchende und ein Biber herum, arbeiten sich gesellschaftlichen Zwängen ab, oszillieren beständig zwischen Hoffnung und Verzweiflung und sind ein jeder für sich gefangen in seinen ureigenen Ängsten. Schliesslich finden sie das Alter Ego des Glücks, das Boojum, dass seinen Entdecker prompt verpuffen lässt.
Trampe und Petrini faszinierte besonders die koordinatenlose Ozeankarte mit der sich die Protagonisten der Nonsenseballade auf den Weg machen. Die Karte kann als Sinnbild für die Transzendenz des Glücks ebenso gelesen werden wie für die Allgegenwart eines unerklärlichen Dinges. Vielleicht ist es gerade darum so reizvoll für eine künstlerische Auseinandersetzung.
Immer wieder kreisen die ausgestellten Arbeiten, von denen einige eigens für dieses Projekt entwickelt wurden, um die unkontrollierbare, absurde oder auch tragische Seite des Glückes oder um sein Gegenstück. So bietet etwa Edward Wright ausgehend von den Zwängen täglicher Umgangsnormen eine Aggressionsplattform im wohlsituierten Rahmen der Malerei und bändigt in seinen Bildern gleich einem Dompteur die Gefühlsausbrüche der Protagonisten. So mancher verklärt die Vergangenheit als alleinseligmachende Zeit. Hier hilft beispielsweise Bettina Carl weiter. In ihren Papierarbeiten scheinen subjektive und kollektive Jugenderinnerungen auf, sie bieten eine Reflexionsebene für die Sehnsüchte, die sich aus dem Blick zurück speisen. Dem, was vielen als der Inbegriff des Glücks gilt, widmet sich unter anderen Sebastian Schaub: Was tun, wenn ich morgen im Lotto gewinne? Der Zürcher Künstler visualisiert in seinen aquarellierten Umsetzungen von Lottoscheinen das Spannungsfeld zwischen der unendlichen Hoffnung und dem kleinen Stück Papier, das hier ins Riesenhafte vergrössert wird. Einen weniger konkreten, aber nichtsdestoweniger reflektierten Ansatz wählt Ursula Palla mit ihrer Videoarbeit «Die Taube hat sich geirrt». Subtil führt sie auf Angst und Freiheitsverlust beruhende Machtverhältnisse vor. Schafft die Taube aus eigener Kraft den Neustart? Tierisches auch bei Andy Storchenegger, dessen «vom Glück übermannte» Katze bereits in der Eröffnungsausstellung des neuen NextEx zu sehen war. Hängt an ihrem Schwanz gar das Boojum? Wirkt sie deshalb so seltsam erstarrt?
«Mit Seife und Gabeln» wirft Fragen auf und ist geprägt vom lustvollen Spiel mit Definitionen und Emotionen. Also Hände gewaschen und Esswerkzeug gepackt, fixiert und aufgespickt – vielleicht lässt sich das Glück in Kreuzlingen erwischen, doch Vorsicht, vielleicht ist es auch nur sein Kontrapart, der einen dann sachte und plötzlich verschwinden lässt.