Zeichen an der Wand
by Kristin Schmidt
Roland Kodritsch malt sein eigenes Atelier. In der Galerie Paul Hafner im Lagerhaus ist die jüngste Werkserie des österreichischen Künstlers zu sehen.
Roland Kodritsch lädt wieder einmal zum Ortstermin. War es bei seiner letzten Ausstellung in der Galerie Paul Hafner die Südsee, in die er den Betrachter verführte, ist es diesmal das eigene Atelier. Statt Palmen also Heizungsrohre, statt Meer und Sonne weisse Wände und Farbspritzer. Die Urlaubslandschaft ist dem Arbeitsraum gewichen. Das Motiv der Gemälde könnte verschiedener kaum sein, doch der 1970 in Österreich geborene und in Wien lebende Künstler bleibt seinem Thema treu: der Malerei.
Diesmal ist die Sache aber komplizierter. Zwar gibt es wieder eine räumlich lokalisierbare Ausgangssituation, aber die Pinselstriche und Farbspuren ordnen sich ins Sujet ein: Das Tropfen und Rinnen, die Kleckse und Streifen sind folgerichtig an der Wand platziert. Sie erscheinen als Überbleibsel der vor kurzem oder längerem vor dieser Wand gemalten Bilder. Es sind Arbeitsspuren. Nicht nur auf der weissen Wand zeichnen sie sich ab, sondern auch auf Heizungsleitungen und Boden. Die Rohre werden zum Hindernis für die Farbe, bevor sie den Boden benetzt und sich dort in bunten Pfützen sammelt. Also sind die Gemälde einfach ein genaues Abbild einer vorgefundenen Situation? Ein klassisches Trompe l’œuil?Wieder einmal erweist sich Roland Kodritsch als Künstler, der die Erwartungen unterläuft und auf spielerische Art einfache Kategorisierungen unmöglich werden lässt. Denn wer genau hinsieht, entdeckt, dass die Kleckse und Spritzer nicht nur dem logischen Prinzip vor Ort im Atelier folgen, sondern auch den physikalischen Gesetzmässigkeiten auf der Leinwand. So ziehen sich neonorange Spritzer über Wand und Heizungsrohre hinweg und machen die Illusion der Dreidimensionalität zunichte, stossen das Bild in die Fläche zurück. Die hellen, frühere Bildstellen kennzeichnenden Rechtecke sind zum Teil nur vage nachvollziehbar. Und selbst die Spuren auf dem Boden lassen teilweise die perspektivische Verkürzung vermissen.
Dies alles sind vom Künstler bewusst gesetzte Irritationsmomente. Es entsteht ein Oszillieren zwischen Illusion und Abstraktion, zwischen dem Bild einer farbbespritzten Atelierwand und einem Gemälde aus ungegenständlichen Elementen: weisse Fläche, graue Streifen, gestische Farbspuren. Diese Abwesenheit des Motivs wird auch im Ausstellungstitel angedeutet: «mene, mene» verweist auf das biblische «Mene, mene, tekel upharsim». Jene Ankündigung des nahenden Untergangs Babylons erhielt Belsazar während eines Festmahles durch eine Schrift an der Wand. Die auflodernden Buchstaben waren für den König selbst undeutbar und verschwanden wie sie aufgetaucht waren wieder im Nichts. Auch Kodritschs Bildspuren verblassen bereits wieder unter Schichten weisser Farbe. Ob aber damit nun die Spuren an der Atelierwand oder die Leinwand gemeint sind, bleibt offen. Neben den grossformatigen Gemälden zeigt der Künstler in der Galerie Paul Hafner Teile seiner Fotoserie «Tischskulpturen». Kleine Arrangements aus Alltagsdingen entstehen im Spiel mit Freunden und Bekannten und werden in Fotografien verewigt. Auch hier ist Vieldeutigkeit Programm. Je reduzierter die Mittel, umso besser: Denn welcher Bäcker rechnet schon damit, dass das lustige Guetzli mit freundlichem Gesicht durch einen Biss zur schreienden Geisterfratze wird.