Es grünt so grün
by Kristin Schmidt
Das Kunstmuseum St. Gallen lädt zu einem «Gang durch die Landschaft in der Kunst». Die Sammlungsausstellung «Ungezähmt – Gezähmt»präsentiert ein grosses kunsthistorisches Genre durch erstrangige und selten gezeigte Meisterwerke.
Landschaftsmalerei zeigt die Natur, gibt Licht, Luft und Perspektive wieder, doch ihr entscheidendstes Kennzeichen ist das Verhältnis des Menschen zur natürlichen Umwelt. Landschaftsbilder erzählen von Gedanken und Gefühlen und sozialen Standpunkten. Ob Paradies- und Weltbilder oder arkadische Idyllen, ob heroisch verklärte Ideallandschaften oder romantische Wildnis, ob bedrohte oder bedrohliche Natur – das Spektrum der Naturdarstellungen reicht so weit wie der gesellschaftlich bedingte Umgang des Menschen mit der Natur. Ein weites Feld also, dessen sich das Kunstmuseum St. Gallen mit seiner aktuellen Sammlungsausstellung annimmt.
«Ungezähmt – Gezähmt»: Unter diesem Motto verspricht die Ausstellung einen «Gang durch die Landschaft in der Kunst». Voraussetzung für die Spaziergän-ger ist ausreichend Musse zum Schauen. Der Auftakt findet sich schon im Foyer und ist von einem der ganz Grossen der Landschaftsmalerei des 19. Jahrhunderts, dem Luzerner Robert Zünd. Sein grossformatiger «Gang nach Emmaus» von 1877 vertritt einen der Schwerpunkte der Ausstellung: qualitätvolle, zum Teil selten ausgestellte Meisterwerke von Schweizer Künstlern. Zünds entrückte Landschaft, ein Bild vollendeter Harmonie zwischen Mensch und Natur, war seit Jahrzehnten nicht im Kunstmuseum zu sehen. Gleiches gilt für ein kleines Landschaftsbild Gottfried Kellers. Doch bevor sein «Ausblick vom Hottingerberg ins Limmattal» als ein Beispiel der «gezähmten» Landschaft den Betrachter erwartet, ist erst einmal unbezwungene Natur zu durchschreiten. So konfrontieren die flämischen Meister des späten 16. und frühen 17. Jahrhunderts den Menschen mit undurchdringlicher Wildnis. Im 19. Jahrhundert dann rücken die Schweizer Alpen mehr und mehr ins Blickfeld. Künstler wie Johann Gottfried Steffan oder der St. Galler Andreas Renatus Högger widmen sich der übermächtig erscheinenden Bergwelt. Die Wende schliesslich von unwegsamen Wäldern, schroffen Felsen und bedrohlichen Wolkengebirgen markiert die Präsentation mit Rafael Ritz‘ «Touristen auf dem Piz d’Arinzol», 1879. Hier ist der Gipfel bezwungen, der Fremdenverkehr hat sich die Natur erobert. Der Rest wird heiter: Vorbei an durchsonnten Szenen der französischen Impressionisten, beschaulichen Motiven der Romantiker und den Gegenden aus der Schule von Barbizon, hin zu erstrangigen Gemälden der holländischen Maler des 17. Jahrhunderts, in denen sich der Mensch in seinem Lebensraum frei und selbstbewusst bewegt. Der durchdachte Gang durch die Epochen endet also bei den Künstlern, die als Erste das veränderte Verhältnis zur Natur, die Urbanisierung thematisierten.
Es ist mittlerweile Tradition, dass das Kunstmuseum in seinen Sammlungspräsentationen Werke von gestern und heute kommunizieren lässt. So schlängelt sich Christoph Rütimanns «Hand-Lauf in und um Stans» von 2001 auf der Natur entrissenen Wegen entlang, während sich Roman Signers «Aktion mit einer Zündschnur» (1989) die Landschaft durch aufgetürmte Zündschnüre, Landkarte sowie Start- und Zielstation auf einer gedanklichen Ebene erschliesst. Ohne sich einem der beiden grossen Themenkomplexe eindeutig zuordnen zu lassen, eröffnen die beiden Werke auf dem Weg durch die gezähmten und ungezähmten Landschaften zusätzliche, aktuelle Blickwinkel auf die Natur und dadurch auch auf die Werke ihrer Vorgänger.