Sehen – Denken – Tun: Ausstellen heisst im Zeughaus Teufen mehr als zeigen
by Kristin Schmidt
«Ausgewogen!?» Am Anfang eine Behauptung. Mit Ausrufezeichen. Zugleich ein Zweifel, eine Unsicherheit. Mit Fragezeichen. Kann etwas, das gerade erst beginnt, schon ausgewogen sein? Ist Ausgewogenheit überhaupt erstrebenswert? Wieviel Gleichgewicht ist gut, wieviel Spannung notwendig? Die erste Ausstellung im Zeughaus Teufen ist beides: ein selbstbewusster Auftakt und eine Einladung, selbst zu sehen, zu denken und zu antworten. Das ist bei der Ausgangslage im Zeughaus Teufen nicht selbstverständlich. Dreh- und Angelpunkt der neu eröffneten Institution ist die Grubenmannsammlung auf der einen und der Bau Felix Wilhelm Kublys auf der anderen Seite: eine weithin anerkannte Baumeisterfamilie und ein angesehener Architekt. Da ist der Raum für neue Sichtweisen klein, es sei denn, die Kunst kommt ins Spiel. Ueli Vogt lädt elf Künstlerinnen und Künstler ein und versammelt damit elf Varianten des Nachdenkens über das Bauen, über Räume, Konstruktionen, Spannungen und die Menschen in den Bauten. Sandra Kühnes fragile, fragmentierte Karten behaupten sich ebenso im langgestreckten Mittelgeschoss des Zeughauses Teufen wie Kilian Rüthemanns schwebendes Stahlband oder Thomas Stüssis Aluminiumkonstruktion. Hans Schweizers gezeichnete Hausquerschnitte korrespondieren mit Herbert Webers Selbstinszenierungen in der Ebnater Kirche. Beni Bischofs verborgene Sentenzen kontrastieren mit Jan Kaesers raumgreifender Balloninstallation. Roman Signers zum Fliegen bereiten Gummistiefel sind ebenso spannungsgeladen wie Michael Pfisters Föhrenholzkurve. Vieles entsteht eigens für die Ausstellung. Karin Karinna Bühler beispielsweise platziert in Gips ein Zitat von Felix Wilhelm Kubly an der Wand, knapp unterhalb der Raumkante. Von Christian Kathriner ist im Haus eine Brückenmodell zu sehen und auf dem Vorplatz eine Trajektorenzeichnung. Jürg Rohr übersetzt eine komplexe dreidimensionale Struktur in eine zweidimensionale Wandmalerei. Manches davon wird lange bestehen bleiben, einiges bis in die Gegenwart hinein, anderes wird überarbeitet und verschwindet schliesslich wieder. Auch das passt zum neuen Haus: Gesammelt wird ebenso wie neu entwickelt. Ortsspezifisches steht gleichberechtigt neben Zugezogenem. Statik und Bewegung schliessen einander ebenso wenig aus wie Wandel und Bewahren. Der Ausstellungstitel hat es angedeutet, die Wegrichtung ist kundgetan: Hier wird über die ästhetischen, konstruktiven und gesellschaftlichen Qualitäten der gestalteten Welt nachgedacht, hier werden Haltungen, Methoden und Entwürfe vorgestellt, hier kommen Gestalter ebenso zu Wort wie Künstlerinnen, Fotografen ebenso wie Architektinnen, hier sind die Spartengrenzen aufgelöst.
«Annäherung an Deine Landschaft»
Die gestaltete Welt umfasst nicht nur Bauten und Gebrauchsgegenstände, nicht nur Grafik und Kunst. «Annäherung an Deine Landschaft», knapp ein Jahr später, steckt das Feld deutlich grösser ab, denn auch die Landschaft ist gestaltete Umgebung. Sie ist durchzogen von Wegen, geprägt von Siedlungen, Verkehr und Viehwirtschaft. Der Mensch ist mittendrin oder beobachtet vom Rande aus, er erlebt die Landschaft auf individuell unterschiedliche Weise. Die Ausstellung zeigt diese variantenreichen Blicke aufs Appenzeller Land und wagt unerwartete Nachbarschaften. Hans Zellers Gemälde verlassen ihr Kabinett und treten nun beispielsweise in einen Dialog mit Verena Schochs Fotografien des Alpsteins. Nicht die schroffen Gipfel, sondern grasgrüne Hügel unter blauem Himmel fotografiert Christian Schwager. Diese Hügel hat der Teufener Landschaftsarchitekt Andres Sulzer nachmoduliert und Roman Häne wiederum zeigt seine Sicht auf diese Arbeit. Ein besonderes Fenster aus dem Ausstellungsraum in die Landschaft hinaus öffnet Vera Marke. Für den Film «Der Ausblick» von 2006/07 hat sie monatlich dem Mondkalender folgend eine grosse Panoramascheibe geputzt. Die Künstlerin lässt sich wie eine Rückenfigur von Caspar David Friedrich über die Schulter blicken, nur dass die Landschaft hier dynamisch ist. Sie verändert sich mit jedem Wisch, mit den Jahreszeiten, ist mal in Dunkel getaucht und mal verschwommen, mal gleissend hell und nah. Diese Vielfalt spiegelt die gesamte Ausstellung: Soundarbeiten, Forschungsprojekte, Gipsmodelle, ein Wandgemälde, Videos, ein Fledermausexperiment und Spaziergänge – auch so geht ausstellen.
«Leidenschaftlich auf dem Holzweg»
Noch landschaftlicher, wenngleich auf andere Weise schreibt sich – zwei Monate später – die nächste grosse Schau ins Haus ein. Bereits im Titel deutet es sich an: «Leidenschaftlich auf dem Holzweg». Der Holzweg wird in zweierlei Sinne wörtlich genommen. Die Ausstellung widmet sich dem Werk des Holzbauingenieurs Hermann Blumer, und sie inszeniert seine umfangreiche Mustersammlung gleich einem langgestreckten Weg. Hier liegen Holzmuster, historische Objekte, Konstruktions- und Ornamentbeispiele und immer wieder Gegenstände mit imitierter Holzoberfläche. Letztere gehören zu den zahlreichen künstlerischen Auseinandersetzungen mit dem Werkstoff Holz und dem Umgang damit. So fotografiert etwa Katalin Déer einen im Lignatur-Patent gedeckten Stall, der traditionelles Bauen aufs Beste in die Gegenwart weiterdenkt. Der junge Herisauer Künstler Fridolin Schoch wiederum führt die Ausstellung ins oberste Stockwerk: Er schreibt mit Holzbalken eine expressive Linie in den Raum. Er sägt, setzt an, sägt erneut, fügt das nächste Stück hinzu bis die Raumzeichnung schliesslich vom Mittel- bis ins Obergeschoss des Zeughauses reicht und die Arbeit der beiden Holzbaupioniere Hermann Blumer und Hans Ulrich Grubenmann schlüssig verbindet.
Die Ausstellung folgt einer stringenten Gliederung: Die fotografischen Aufnahmen, Dokumente und Pläne folgen aufeinander bezogenen horizontalen Linien in einer chronologischen Ordnung. Von dort aus lohnen sich Quer- und Seitenblicke und immer wieder die Rückkehr zum Hauptweg. Während also der Ausstellungsraum hier Landschaft gleicht, die durchschritten werden kann, verwandelt er sich mit der nächsten Schau in eine Gute Stube.
«Bauernkunst?»
Ein schwarzer Teppich bedeckt den Mittelgang vollständig. Zu beiden Seiten säumen ihn prachtvolle Kästen, einer neben dem anderen, chronologisch geordnet auch sie. Die Präsentation erlaubt es, den Schränken von den äusseren Saalseiten her gleichsam auf das Hinterteil zu gucken: Da zeigt sich raues Holz, irgendwie zusammen- und zurechtgetischlert. Hier kam es nicht auf Schönheit an – auf der Vorderseite umso mehr. Da wurde gezeigt, was man hat und wofür man lebt: Während auf innerrhödler Kästen Monogramme oder Heiligendarstellungen prangen, sind in Ausserrhoden Bibelgeschichten beliebter. Aber ist das nun Kunst? Bäuerliche sogar? Die Ausstellung setzt im Titel erneut ein Fragezeichen, diesmal ohne nachfolgendes Ausrufezeichen. Es verweist sowohl darauf, dass die oft so bezeichneten Schränke in ihrer Entstehungszeit eher keine Bauernmöbel waren, sondern der ländlichen Oberschicht gehörten, als auch darauf, dass trotz sorgfältiger volkskundlicher Forschung vieles offen bleibt: Wo standen die Kästen? Was wurde in ihnen aufbewahrt? Wie oft und warum wechselten sie ihren Ort?
Wieder bettet die Ausstellung ihr Thema in einen grösseren Zusammenhang. Restauratorinnen sind eingeladen, der Künstler Stefan Inauen veredelt malerisch ein schwedisches Billigmöbel, die Münchner Architektin Regina Baierl fügt ausgediente Möbelstücke zu neuen Objekten. Und das Druckmaterial der Grafikagentur Bänziger Hug ist erneut nicht einfach ein Faltblatt: Richteten sich die drei vorherigen Ausstellungen mit aufwendig gestalteten Leporellos oder Broschürenformaten an ihr Publikum, ist es nun ein eigens entwickeltes Kartenspiel. Statt mit PS-Zahlen oder Hubraum kann hier mit Alter oder Breite aufgetrumpft werden. So kommen die alten Stücke gut in der Gegenwart an.
«Überlagerte Schwingungen – Jürg und Thea Altherr»
Die beiden folgenden Ausstellungen, «Überlagerte Schwingungen – Jürg und Thea Altherr», Ende 2014 bis ins Frühjahr 2015 und wenige Monate später «Werden Wandeln Wirken – Ruedi Zwissler» widmen sich wieder Persönlichkeiten: Starke Einzelpositionen mit starken Bezügen zum Ort, zur Grubenmannsammlung, zur Arbeit im Zeughaus Teufen. Jürg Altherr ist Bürger von Speicher, er ist Künstler und zugleich Landschaftsarchitekt. Er entwirft Brücken, die den Grubenmannschen Modellen zur Seite gestellt sind, er platziert im Ausstellungsraum gebaute Strukturen, bei denen offen bleibt, ob sie Modelle, Vorstudien für Skulpturen und Plastiken sind oder freie, eigenständige Objekte. Zwei grosse Werke aus Wellpappe erlauben reiche Durchblicke und korrespondieren mit Thea Altherrs Fotografien von Lawinenverbauungen, die eine eigene Schönheit entfalten und doch ganz dem Nutzwert unterworfen sind. Die ganze Ausstellung atmet mit viel Luft und Lust durchs Haus. Vor dem Zeughaus Teufen jedoch manifestiert sie sich mit starker Geste. Dort steht der «Schlitz»: Ein Monolith, der einst in Aadorf liegen sollte, dort demokratisch weggewiesen wurde. Nach einigen Zwischenstationen hat er eine neue, aufrechte Position und – wie sich nach der Ausstellung zeigen wird – einen neuen, definitiven Platz. Zwei Jahre nach der Ausstellung war der Ankauf entschieden. Altherr darf also bleiben, denn Teufen ist mutiger, selbstbewusster als andere Gemeinden und weiss um die gesellschaftliche Kraft einer starken künstlerischen Position.
«Werden Wandeln Wirken – Ruedi Zwissler»
Ruedi Zwisslers Position ist nicht weniger stark, aber im gestalterischen Bereich verankert. «Werken Wandeln Wirken» bezieht sich auf diese Kraft und lässt andere sich an ihr reiben. So werden ikonische Entwürfe Zwisslers von jungen Grafikerinnen und Grafikern der Schule für Gestaltung St.Gallen neu interpretiert. Sein flexibel verbundenes VOLUMA-System wird im Mittelpunkt der Ausstellung zu einem Aufbewahrungs-, Aufenthalts-, Präsentations- und Gliederungsorgan. Ein streng gerastertes Regalsystem ist die Bibliothek. Daneben entdecken künstlerische Blicke von Michael Bodenmann und Barbara Signer die skulpturale Qualität einer Zwisslerschen Werbetafel. Beni Bischof nimmt sich der Walo-Geschichte aus der profaner Perspektive an und Bänziger Hug verdoppeln kurzerhand das M: Alle grossen und kleinen Ws in der für einmal auf gelb gedruckten Leporellobroschüre sind umgedrehte Ms. Die Ausstellung ist eine eindrückliche Hommage und bleibt bei Zwissler nicht stehen. Genau dadurch zeigt sie, worauf es dem grossen Gestalter ankommt: Die gute Form entfaltet gesellschaftliche Relevanz, sie besteht über ihren Erfinder hinaus und kann auch für andere zu einer Arbeitsgrundlage werden. «Werken Wandeln Wirken» ist fünf Monate lang zu sehen und bietet einiges Diskussionspotential. Der Kontrast der aus strukturiertem Denken entwickelten, klaren Gestaltung zu frei hinzu assoziierten Arbeiten ist nicht für alle einleuchtend. Wieviel Sinn und Überlegung in dieser Gegenüberstellung liegt, zeigt «Factory Teufen» ein Vierteljahr später.
«Factory Teufen»
Alles beginnt mit einem Gerücht: War er oder war er nicht? Wurde er oder wurde er nicht? War Andy Warhol als Kind im Appenzellerland und wurde von Hans Zeller gemalt? Kommt es überhaupt darauf an? Das Appenzellerland hat schliesslich sein eigene Kreativschmiede. Während in Manhattan Warhol und Zugewandte in der Factory wirkten, bezogen Grafiker Kurt Büchel und seine Frau Ada die ehemalige Textilfärberei am Goldibach. Als Büchel gemeinsam mit Remi Nüesch einen Gestaltungswettbewerb für die EXPO 1964 gewann, zog dies Grafiker, Fotografen und Kunstschaffende an: Sie gestalteten die Abteilung «Gesteigerte Produktivität» der Landesausstellung. Hans Schweizer wirkte mit, Jost Blöchlinger, Amelia Magro, Jules Kaeser und andere. Wie lässt sich diese kreative Energie, wie das gemeinsame Denken, Schaffen, Machen ausstellen? Die Ausstellung stellt der damaligen Vielfalt und Dichte die Ordnung gegenüber. Auf langen horizontalen Brettern liegen Originalfotografien aus. Korrespondenz, Pläne und Publikationen transportieren die damaligen Jahre ins Heute. Zeichnungen Hans Schweizers bilden eine zeitliche Klammer. Über allem tönt der Klang des Arbeitens, des Schablonierens, Blätterns, Stocherns, Schwenkens – die Künstlerin Katrin Keller hat die Geräusche aus einem Dokumentarfilm extrahiert. Damit hat die Factory-Ausstellung auch einen Factory-Sound.
«Projekt Grubenmann»
Produktiv, kreativ geht es schon vier Monate später weiter. Diesmal steht die Arbeit der Baumeister Grubenmann selbst im Zentrum. Doch statt in der Vergangenheit zu verweilen, öffnet Ueli Vogt mit «Projekt Grubenmann» einmal mehr das Haus konsequent der Gegenwart. Studentinnen und Studenten des Institutes für Holzkonstruktionen der ETH Lausanne analysierten die Dachstühle von Grubenmann-Kirchen und leiteten darauf eigene Entwürfe ab. Die Formen- und Materialvielfalt ist gross. Dieser Heterogenität wird auch die Präsentation gerecht: Die Künstlergruppe FMSW hat einen Kilometer Dachlatten zu einer wild verzweigten, sperrigen, tragfähigen Struktur verbaut. Hierin haben einerseits die studentischen Modelle Platz, andererseits wuchert sie als eigenständige Form durch den Raum. Im Kontrast dazu steht das filigrane Strohhaus Birgit Widmers, stehen die klar gegliederten und fein abgestuften, weissen Treppen der Künstlerin Monika Spiess und Alex Hanimanns ebenfalls aus Dachlatten zusammen genagelter Satz: «WE NEED TO TALK WE HAVE TO KEEP TALKING WE WILL FIND A SOLUTION». Das ist mehr als eine künstlerische Aussage. Der Satz liest sich wie das Motto des Zeughaus Teufen: Im Gespräch bleiben, diskutieren, kommunizieren und Lösungen entwickeln, diese erneut zur Diskussion stellen und sich wieder auf die Suche begeben. Dazu passt auch Christina Witzigs Projektion. Sie versammelt Sätze aus der Grubenmann-Fachliteratur und durchsetzt sie mit persönlichen Aussagen Rosemarie Nüesch-Gautschis – auch neue Kombinationen von vorhandenem Wissen lassen weiter- und neu denken.
«Homedress – Von Wand und Gewand»
Mit der nächsten Ausstellung bleibt das Zeughaus Teufen dem Machen treu und geht doch wieder neue Wege: Das Textile zieht ein. Anlass ist das Grossprojekt «igfädlet – Ostschweizer Textilgeschichten» mit acht Museen aus der Region. Unter dem Titel «Homedress – Von Wand und Gewand» wird alles möglich: Da wird das Haus angezogen und der Mensch, da wird der Prozess gezeigt und das Produkt. Da wird das Museum zum Laufsteg und zum Laden – und bleibt doch immer ein Ort, der Aktuelles mit der Kulturgeschichte verbindet und nicht nur präsentiert, sondern zugänglich macht. Bereits das Spektrum des Ausgestellten vermittelt, dass ein Gewebe nicht einfach ein Textil sein muss. Weben lässt sich mit Wörtern, Schrift und Fetzen, Gedankenfetzen im Besonderen. Musik verwebt Töne, Kunst mischt sich in die Mode ein. Bei all dieser Vielfalt ist die Ausstellung nie beliebig. Der rote Faden sind sowohl die intrinsische Motivation der Gestalterinnen und Designer, der Weberinnen und Schneider, der Performer und Künstlerinnen und ihre kompromisslose Suche nach einer neuen Qualität als auch die Art des Ausstellens im Zeughaus Teufen. Statt wie in musealen Ausstellungen üblich Deutungshoheit zu behaupten und einen Ewigkeitsanspruch zu stellen, fliesst die produktive Atmosphäre durchs ganze Haus. Dies gilt für die Auswahl durch den Kurator ebenso wie für die Präsentation als solche: Die Balken werden einbezogen und die Böden. Drähte werden gespannt und Tücher gehängt. Wäscheklammern kommen zum Einsatz. Bekanntes findet sich wieder wie etwa Regalkonstruktionen aus «Werken. Wirken. Wandeln». Anderes verwebt sich mit Bestehendem wie die papierne Kaminverkleidung mit dem Kabinett der Hans Zeller-Bilder. Die Dachlatten aus «Projekt Grubenmann» verwandeln sich in konstruktivistische Kleiderständer und in das Gerüst eines schräg ansteigend den Raum durchmessenden Laufsteges. Dieses Verweben von Bekanntem und Neuem weckt die Entdeckerlust und gehört bereits wie selbstverständlich zum Repertoire des Hauses. Mit der zehnten grossen Ausstellung setzt sich diese Haltung fort.
«Walk The Line»
Ein von Jonny Cash 1955 komponiertes Lied liefert den Titel und den Assoziationsraum für die Ausstellung, die zwar um die Linie kreist, aber nicht allein den Strich eines Stiftes meint, sondern eine konsequent verfolgte künstlerische Haltung. Die zwei grossen Angelpunkte sind Klaus Lutz und Ulrich Fitzi: Experimentalfilmer und literarisch inspirierter Performancedarsteller der eine und autodidaktischer Zeichner und biedermeierlicher Landschaftschronist der andere. Gemeinsamkeiten: keine. Gemeinsame Anknüpfungsmöglichkeiten: viele. Hans Ulrich Grubenmann hat es mit seinen Kirchendächern und Brücken vorgemacht, Ueli Vogt führt es als Kurator weiter: Sie überspannen weite Räume und schaffen Verbindungen. Fitzis akurate, streng lineare Zeichnungen entstehen kurz vor der Erfindung der fotografischen Kamera. Sie sind so detailliert, dass sich die porträtierten Orte und Wege im Appenzellerland bis heute finden lassen. Zwar ist diese Art, sich der Landschaft zu nähern, aus der Zeit gefallen, aber gerade deshalb ist sie zeitlos und bietet sich an für Brücken zum Film, zur Konzeptkunst, zur Abstraktion. Zu Klaus Lutz´ zwölf Meter langer Zeichnung «Pas de deux» beispielsweise. Oder zu Sandra Kühnes mit der Schere geschnittenen Wegenetzen. Zu Anna Beck-Wörners Klebebandlinien, die über Balken und Wände des Zeughauses mäandern. Zu Christian Rattis Projekt «Passerella», das vor allem eine zeitliche Kontinuität zu erhalten versucht: Der Künstler möchte die längerfristige Zukunft von Zumthors ausgedientem Verbindungsbauwerk beim Bündner Kunstmuseum sichern und hat dafür einen Infostand inklusive Modell realisiert. Diese Idee bildet ab, was im Zeughaus Teufen immer wieder aufs Neue gelingt: Die Vergangenheit wird für die Gegenwart aktiviert und bleibt für zukünftiges Weiterdenken offen: Die Linie schreibt sich also fort.
«APROPOS flüchtige Blicke»
Nach «Walk The Line» vergeht fast ein Jahr, gefüllt mit Zwischenstellungen, Projekten für die Stirnwand, kleinen Einschüben. Das Haus bleibt offen, beweglich, einladend. So ist auch das nachfolgende «APROPOS flüchtige Blicke» keine Ausstellung im Sinne einer für einen bestimmten Zeitraum festgeschriebenen Präsentation, sondern wird bereits als «sich wandelndes Projekt» angekündigt. Diese erprobte und bewährte Arbeitsweise wird sich perfekt passend in ihre Zeit einfügen. Denn sieben Monate nach der Eröffnung werden alle Kulturinstitutionen im Land auf unbestimmte Zeit für ihr Publikum geschlossen sein. Für das Zeughaus Teufen kein Grund zu schliessen oder stehen zu bleiben. Die Arbeit geht weiter, die gestellte Frage ist gross: «Was sehen wir, wenn wir durch die Welt gehen?». Dokumentarische und künstlerische Fotografien, Zeichnungen und Karten halten die Welt fest und interpretieren sie zugleich. Wer fotografiert oder zeichnet, tut dies mit eigenem Fokus, eigenem Schwerpunkt. Sehen ist individuell und verändert sich im Laufe des Lebens. Dieser Vielfalt wird das Zeughaus Teufen mit grosser Dichte gerecht: kleine Formate und übergrosse, Einschübe, Kojen, Bilder überall, auf Pressspanplatten, an den Balken, den Wänden, in Reihen, vertikalen Bahnen. Während in der Bilderflut der digitalen Welt die Fotos weggewischt und weitergeklickt werden, ist hier die Gleichzeitigkeit und das Nebeneinander Programm. So entstehen Dialoge, die sich bald auch wieder mit dem Publikum führen lassen.
«Zwischen Farben»
Fast vierzehn Monate werden es schliesslich sein, in denen die Blicke in vielen Wandlungen und Ansichten durchgespielt werden. Dann ist es wieder Zeit für Neues und dies kommt mit grosser, freudvoller Geste: Katrin Hotz verändert das mittleren Stockwerk des Zeughaus Teufen vollständig. Die Bieler Künstlerin installiert in vielen Farben monochrom lackierte Papierbahnen an den zwei Balkenreihen des Raumes auf. Horizontal, vertikal, schräg, übereinander, aneinander, bis auf den Boden – die Bahnen lösen die Raumkanten auf, schliessen Durchblicke und -gänge und öffnen stattdessen neue Sichtachsen. Sie verdecken teilweise den Empfangstresen und legen sich hinter Hans Zellers Gemälde. Das Zeughaus Teufen wird mit «Zwischen Farben» zum begehbaren Bild. «Zwischen» steht nicht nur für die Zwischenräume der Installation, sondern auch für alles, was dank ihr ausserdem in den Blick rückt. Lucie Schenkers Farbzeichnungen und Plastiken zum Beispiel oder Max Grafs Entwürfe und Zeichnungsstudien. Der ein Jahr zuvor verstorbene St. Galler Architekt hat einiges gebaut, aber viel mehr unterrichtet und gezeichnet. Und er hatte ein umfassendes Verständnis vom sozialen und gesellschaftlichen Anspruch der Architektur. So gehörte es für ihn dazu, für das Kinderdorf Pestalozzi in Trogen auch Sitzbänke zu entwerfen – die damals nicht realisiert wurden. Das erste Exemplar steht nun im Zeughaus Teufen. Einladend. Einfach in der Materialwahl. Klar in der Formgebung. Gestaltet für den intensiven Gebrauch im Aussenraum. Dass sie zuerst im Zeughaus Teufen steht, ist kein Widerspruch. Denn dieses Museum ist kein in sich geschlossener Kosmos. Es positioniert sich mit grosser Nähe zu zeitgenössischen Arbeits-, Bau- und Gestaltungswelten. Dabei bleiben die Grenzen zwischen Gattungen, Sparten und Kategorien fliessend, auf dass der Dialog bereichert werde und neue Sichtweisen möglich sind.
Florilegium
Mit der Blütenlese nach zehn Jahren führt Ueli Vogt seine kuratorischen Ansätze zusammen. Er integriert Bestehendes, initiiert Neues, schafft Verbindungen und rückt einmal mehr auch die Leistungen der Baumeisterfamilie Grubenmann in neues Licht. Letzteres gelingt beispielsweise durch Christian Rattis Insekteninstallation: Masstäblichkeiten verschieben sich, Modelle werden zu Dioramen, Reihungen zu Prozessionen. Auf andere Art transformiert Thomas Stüssi studentische Dachstuhlmodelle: Als T-Form frei im Raum stehend behaupten sie sich als selbständige Form. Sven Bösiger entlockt Modellen Töne, Andri Bühler filmt ihre Parcoursqualitäten. Aber auch unabhängig von Grubenmann entsteht Neues: So erweist Céline Manz mit farbigen Fensterfolien und Leuchtstoffröhren der Künstlerin Sophie Taeuber-Arp und ihrer Gestaltung der Strassburger Aubette die Referenz. Ob an den Fenstern oder dazwischen, im Treppenhaus oder in der Grubenmannbox, an den Balken oder zwischen ihnen, an den Wänden oder am Gemälde, das Felix Stickel vor knapp zehn Jahren hier auf die Wand gemalt und nun temporär erweitert hat, – über dreissig Positionen agieren miteinander, mit der Sammlung und dem Haus und feiern das Zeughaus Teufen einmal mehr als Ort des Denkens und des Tuns.
Hrsg. Ulrich Vogt, Maria Nänny, 1 x ZHT, 10 Jahre Zeughaus Teufen, Jungle Books, St.Gallen 2022, S. 366–371