Irena Haiduk — Ökonomie trifft Ästhetik
by Kristin Schmidt
Etwas entgegensetzen – Irena Haiduk ergreift die Initiative: für mehr Vorstellungskraft, für eine Produktion, die nicht nur wirtschaftlich, sondern auch ästhetisch ist, für langlebige Produktions- und Kunstzyklen. Vor mehr als einem Jahr startete ihre ‹Initiative for Trade Aesthetics (ITA)›, eine Zusammenarbeit zwischen der Kunst Halle Sankt Gallen und der mündlichen Korporation Yugoexport: Ausgehend von den Schriftensammlungen ‹Studio Feelings› und ‹All Classifications Will Lose Their Grip› werden Objekte, Kulissen, Stücke oder Performances produziert. Einiges davon ist aktuell in der Kunst Halle Sankt Gallen ausgestellt.
Ein aus der Dunkelheit aufglühendes Rot in einem Gemälde, ein golden glimmender Spiegel, die in eine schummrige Nische gebettete Reliquie oder ein schwach beleuchtetes Antlitz in der Loge – diese Sinneseindrücke sind nahezu verloren gegangen, seit Paläste, Kirchen oder Opernhäuser mit elektrischem Licht ausgestattet worden sind. Dank Yugoexport ist nun eine Ahnung jenes visuellen Erlebnisses wieder möglich: Die Kunst Halle Sankt Gallen ist für ‹All Classifications Will Lose Their Grip› ausschliesslich mit natürlichem Licht und mit Kerzen erleuchtet. Wer die Ausstellung betritt, ist angehalten, eine Kerze am Eingang zu entzünden. Sie kündet dann von Anwesenheit wie die Royal-Standard-Flagge über dem Dach des Buckingham Palastes und schafft zugleich eine atmosphärische Stimmung für das nun Folgende.
Die Firma übernimmt
Der erste Ausstellungsraum ist als offene Bühne konzipiert. Matt spiegelnde Laufstege geben die Bewegung im Raum vor. Sie werden mehrmals während der Ausstellungsdauer neu ausgerichtet und ermöglichen es dadurch, bei jedem Besuch andere der sparsam im Raum verteilten Objekte aus der Nähe zu sehen oder eine der sechs Kerzen anzuzünden, die vor spiegelnden Ovalen an der Wand hängen. Damit wird die Schau zum Experimentierraum für die Produktion von Bildern und demonstriert die Philosophie von Yugoexport, so Irena Haiduk. Die Künstlerin hat Yugoexport gegründet und verfolgt damit unterschiedliche Ziele: «Yugoexport ist eine kollektive Schnittstelle. Die Firma produziert Werke für mich und mit mir. Es gibt sowohl ökonomische als auch konzeptuelle Gründe für die Firma.» So agiert die Firma beispielsweise anstelle der Künstlerin: «Künstlerinnen und Künstler sind vergleichsweise wenig abgesichert. Mit Yugoexport setzte ich etwas zwischen mich und die Institution.»
Es gibt im Internet publizierte Regeln, einen Trust, ein jährliches Treffen und einen Jahresbericht. Aber auch die Verbindung von Ökonomie und Ästhetik wird angestrebt. Dies war auf andere Art und Weise bereits bei Jugoeksport der Fall: Diese Firma wurde 1953 im damaligen Jugoslawien gegründet, war zunächst Waffenproduzentin und -exporteurin und stellte bald auch Uniformen für Arbeiterinnen und Arbeiter und für das Militär her. In den 1980er-Jahren kam Mode auf hohem Niveau dazu, und man eröffnete Boutiquen auf der ganzen Welt. Produziert wurde nach wie vor in Jugoslawien, bis in den frühen 1990ern der Niedergang der Firma kam und sie folglich in den 2010er-Jahren zerschlagen wurde.
Elegante Choreografien
Irena Haiduk hat diese Entwicklung eng verfolgt und schliesslich den Namen in veränderter Form übernommen: «Ich mag den Namen der Firma. Auf Serbisch bedeutet ‹jug› der Süden.» Yugoexport produziert wieder: Anlässlich der documenta 14 wurden beispielsweise Schuhe nach früheren Entwürfen hergestellt. Diese ergonomisch durchdachten Schuhe standen dem Documenta-Personal zur Verfügung und wurden bei der Performance ‹Spinal Discipline› getragen: Frauen liefen lautlos durch den Stadtraum und balancierten Marcel-Proust-Ausgaben auf dem Kopf. Diese «Army of Beautiful Women» war mit einfachen Kleidern in Pastelltönen ausgestattet. Sie bewegte sich beinahe lautlos schwebend und mit grossem Ernst. Die im Titel angedeutete Schönheit entsteht für lrena Haiduk aus der Freiheit dank bequemer Kleidung und dank uneingeschränkter Wege durch die Stadt.
Auch für die aktuelle Ausstellung in St. Gallen sind Performances geplant. Elegante und doch einfache Choreografien sollen genau wie die Requisiten und die sich verändernde Ausstellung Fragen und Gespräche provozieren und dienen gleichzeitig einem weiteren Grundgedanken von Yugoexport: Nicht das Ausstellen und damit das Zeigen steht im Mittelpunkt, sondern das Initiieren von Gesprächen und Gedanken. Da sich die Ausstellung ständig verändert, sieht niemand einen endgültigen Zustand. Irena Haiduk betont: «Die Menschen müssen einander kontaktieren und sich über die unterschiedlichen Zustände austauschen.» So können sie sich auch über die Objekte verständigen. Und mit ihren Berichten fügen sie der Ausstellung eine neue Ebene hinzu, schreiben sie auf mündliche Weise weiter.
Das Schwinden der Vorstellungskraft
Die mögliche Vielfalt der Geschichten, die Vorstellungskraft und besonders deren Verarmung in der aktuellen Zeit beschäftigen Irena Haiduk sehr und sie muss das Beispiel nicht weit herholen: Ein Konsumobjekt wird im Internet gesehen, bestellt und zu Hause ausgepackt. Aber Bild und Wirklichkeit klaffen weit auseinander. Plötzlich ist das Ersehnte nicht mehr wünschenswert. Der Gegenstand und dessen Bild sind nicht dasselbe oder, wie es Irena Haiduk formuliert: «Die Bilder sind optisch aufgeladen und doch ein flacher Abklatsch der Welt. Zudem können wir kaum noch selbst imaginieren, weil uns ständig bereits Bilder vorgeschlagen werden. In der oralen Kultur konnten Dinge mit verschiedenen Bildern aufgeladen werden. So wurden über eine längere Zeit hinweg eigene Bilder im Hirn gesammelt. Heute ist die Verflachung der Welt eine zugleich komplexe und gefährliche Situation. Die Fähigkeit zur Imagination verschwindet. Die Kunst muss dem entgegenwirken.» Exemplarisch funktioniert dies mit ‹Dream State of Conduct›. Haiduk entwirft hier die Zukunft im Jahr 2135. Die Arbeit wird nicht durch aufwendige Auf- und Umbauten konstruiert, sondern entsteht dank der Imagination. Hinter einem, in einem schmalen Rechteck hängenden raumhohen Vorhang liest eine Stimme, wie der Höhlenkomplex von Altamira genutzt wird: Der Zugang ist streng geregelt und kann nur in einem nicht näher beschriebenen Traumzustand erreicht werden. Im Inneren begegnen sich westliche Meisterwerke, Höhlenmalereien und die Träumenden in einer zugleich technoiden wie archaischen Umgebung.
Räume verbergen und öffnen
Der Vorhang als Objekt, das einerseits für sich selbst steht und andererseits eine Funktion erfüllt, interessiert Haiduk spätestens seit ihrer Arbeit am Theater in Belgrad: «Ich hatte mit den Requisiten zu tun hinter der Bühne. Der Vorhang war eine Schwelle, auch für die Requisiten.» In der Kunst Halle Sankt Gallen wird er zum Mittel des Verbergens, bezogen auf das verhängte Raumvolumen und dadurch zugleich des Öffnens: Der aus dem Verborgenen erklingende Text offenbart einen unermesslichen Gedanken- und Assoziationsraum. Er stammt aus einer Sammlung von literarischen Texten, die ein Langzeitprojekt der Künstlerin darstellen und nun nach und nach auf der Website der Kunst Halle Sankt Gallen publiziert werden. Die Institution wird damit zur längerfristigen Plattform für die Künstlerin, was gemeinsam mit den häufigen Umbauten während der Ausstellungsdauer für die verhältnismässig kleine Institution eine Herausforderung ist. Bewusst soll am Status quo der Kunsthalle gerüttelt und das Maximum aus den vorhandenen Strukturen herausgeholt werden.
Die Ausstellung präsentiert sich als perfekte Inszenierung: Den kalten, glatten Metallflächen der Podeste und Objekte antworten Polstermöbel mit griffig angenehmen Stoffen. Den anthrazitfarbenen und silbernen Flächen steht eine Grünpflanze – eine der derzeit so beliebten Monsteras – gegenüber. Die metallenen Objekte sind poliert, die keramischen zeigen ihre lebendige, grüne Glasur. Die blanken Laufstege sind makellos und führen über den rohen Boden der Kunsthalle. Härte kontrastiert mit Weichheit, Kälte mit Komfort, Grau mit Grün und spiegelnde Flächen mit stumpfen. Irena Haiduk überlässt nichts dem Zufall und schreibt die Ausstellung in ihr Gesamtwerk ein: «Ich habe Requisiten früherer Ausstellungen integriert und werde Objekte aus dieser Ausstellung in künftige übernehmen.» Damit wird die Kunst Halle Sankt Gallen Teil der Geschichte von Yugoexport.
Die Zitate stammen aus einem Telefongespräch mit der Künstlerin am 18.2.2022.