Auf und davon und wieder her
by Kristin Schmidt
Paris, Toronto, Zürich, Berlin – Toggenburg, Herisau, St.Gallen, Strahlholz: Hans Schweizer war und ist unterwegs zwischen Gegensätzen. Er beobachtet, reflektiert, bringt zu Papier und auf die Leinwand. Das Kunst(Zeug)Haus Rapperswil zeigt Werk das Werk des 1942 geborenen Künstlers in einer gross angelegten Retrospektive.
Dort die Metropolen, hier die Provinz. Dort die grosse Welt, hier die Hügel, die Nähe, das Bekannte. Dort die Urbanität, hier der Überblick. Und dazwischen: Züge, Flugzeuge, Helikopter, Autos, Busse. Reisen heisst fahren oder fliegen, manchmal auch gehen; zu zweit und durch den Schnee. Oder in Gruppen auf dem Asphalt; den Koffer in der Hand; die Schuhe geschnürt. Insignien des Weiterziehens – immer wieder tauchen sie in Hans Schweizers Kunst auf.
Es beginnt mit den Turnschuhen. Fast schon liebevoll porträtiert sie der Künstler in den 1970er Jahren, zeichnet die Schnürsenkel, das Dekor, die Fasson der Treter. Die Schuhe haben Charakter.
Aber auch ein Telefon kann starke Präsenz entfalten, wenn es von Hans Schweizer zu Papier gebracht wird. Gleich mehrmals ist es auf frühen Werken zu sehen. Inspiriert ist es von Walter De Marias Telefon in der ikonischen Berner Ausstellung «When Attitudes Become Form» von 1968. Dort hiess es, wenn der schwarze Apparat klingle, könne es sein, dass der Künstler anruft, also: Hörer abnehmen! Es klingelte nie, hinterliess aber einen bleibenden Eindruck.
Überhaupt ist Hans Schweizer mittendrin in der Kunstwelt der damaligen Zeit: Als Anfang Zwanzigjähriger bewegt er sich im Umfeld der École des Beaux Arts in Paris. Zehn Jahre später ist er dank eines Stipendiums in Kanada. Mitte der 1970er übersiedelt er für einige Zeit nach Westberlin. Die internationalen Einflüsse manifestieren sich in Schweizers Arbeiten an der Seite seiner eigenständigen, starken Formfindungen und Bildideen. Die Töffs auf der Pont de Saint-Cloud zeigt er beispielsweise nicht als Einzelobjekte, sondern blickt auf das dortige Getümmel aus der Vogelperspektive. Die von oben symmetrisch aussehenden Fahrzeuge sind beinahe symmetrisch angeordnet. Schon in dieser frühen Arbeit zeigt sich, was auch in Schweizers aktuellen Arbeiten immer wieder Thema ist: Struktur, Raster und Rhythmus des Gesehenen.
Ein Maschendrahtzaun, die Fassade der Fachhochschule in St.Gallen oder das Geschäftsgebäude an der St.Galler Geltenwilenstrasse – nichts davon besticht mit Gestaltungswillen oder Schönheit, aber in Hans Schweizers Farbzeichnungen entfaltet genau diese Monotonie ihren Reichtum: Der Stift in der Hand des Künstlers macht den Unterschied. Durch die dicht gesetzten Linien wird das Raster lebendig. Abstufungen, Schattierungen und Unregelmässigkeiten prägen den Gesamteindruck. Zudem spielt der Künstler Varianten durch: In dreimal dem gleichen Format ist der Maschendraht dreimal ein anderes Bildelement: Mal ist der Maschendraht aus der Nahsicht wiedergegeben und in seiner dreidimensionalen Qualität plastisch erfasst. Mal rückt er etwas weiter weg und teilt das Bild: oben der durch Stacheldraht zerschnittene Himmel, unten der Maschendraht als Kontrast zum bewegten Wolkenstreifen. In einer dritten Zeichnung ist die Bildfläche dreigeteilt: Der Maschendrahtzaun ist eine Barriere in der Landschaft, zu seinem Raster kommt jenes der Metallpfosten, an denen er befestigt ist, und jenes der Architektur, die dahinter steht.
Die sorgfältige Hängung der Ausstellung erlaubt einerseits solche direkten Vergleiche, andererseits gibt sie einen schlüssigen Überblick über Hans Schweizers künstlerische Entwicklung. Den Einstieg machen Arbeiten aus den 1980er Jahren, die sich in der Sammlung des Kunst(Zeug)Haus befinden. Sie zeigen eine formale Nähe zur Malerei der «Jungen Wilden» und zugleich Schweizers Herkunft. Doch auch wenn der Künstler 1982 «Kühe auf der Alpsigel» malt, entsteht nicht etwa einen Sennenstreifen, sondern ein Bildquadrat mit lagernden Tieren überall. Damit verweist es bereits auf die späteren Werke mit übers ganze Format verteilten Helikoptern, Badenden oder nächtlich erleuchteten Fenstern. Schweizers jüngste Werke stehen räumlich im Zentrum der Ausstellung und sind einmal mehr vom Unterwegssein geprägt. Früheste Werke sind vor allem dank Leihgaben aus der Sammlung des Kunstmuseum St.Gallen sehr gut vertreten. Die Farbstiftzeichnungen bilden eine Sektion für sich und begeistern mit Schweizers subtilem Einsatz monochromer oder zart nuancierter Farbigkeit. Insgesamt ist eine Ausstellung entstanden, die Hans Schweizers achtzigsten Geburtstag würdig feiert.