So ein Käse!

by Kristin Schmidt

Käsen ohne Sensoren und andere technische Hilfsmittel? Das funktioniert auch heute noch. Sepp Schmid käst in der Alphütte im Appenzeller Volkskundemuseum Stein. Hier ist fast alles so, wie er es als Schulbub auf der Alp beim Käsen kennengelernt hat, abgesehen vom Thermometer und den Gästen. Das erstgenannte hat es früher nicht gebraucht: «Die Sennen hatten Routine. Auf der Alp haben sie nach Gefühl gearbeitet – aber sie haben auch jeden Tag gekäst.» Sepp Schmid hingegen käst als Pensionierter nur etwa zwanzig Mal pro Jahr im Museum. Der gelernte Koch kann dabei an die frühen Erfahrungen auf der Alp anknüpfen. Bei der Arbeit vor und mit Gästen hingegen hilft ihm die Berufsvergangenheit: «Wenn Leute zuschauen, ist das kein Problem für mich, ich habe als Koch auch als Kursleiter und Prüfungsexperte in der Ausbildung gearbeitet.» Auch ein Haus weiter wird den Käsern auf die Finger geguckt, wenngleich durch grosse Fenster: In der Appenzeller Schaukäserei in Stein braucht es die Käser und ihre Handwerkskunst trotz moderner Technik. Dabei ist es gar nicht so leicht, welche zu finden, erklärt Geschäftsführer Ralph Böse: «Die heutige Ausbildung zum/r Milchtechnologen/in EFZ ist eine extrem breit gefächerte Ausbildung. Hier in der Käserei ist die Arbeit jedoch etwas einseitiger als in Betrieben, die auch viele weitere Milchprodukte produzieren.» Die Appenzeller Schaukäserei ist besonders. Das liegt nicht allein am Geheimnis – Appenzeller® Käse! –, sondern auch am Auftrag: «Die Schaukäserei ist Partnerin von Switzerland Cheese Marketing und die Leistungsvereinbarung zur Bewerbung von Schweizer Käse regelt den Betrieb mit Shop, Schaubereich und Gastronomie. Der Schaubereich muss ein informatives Erlebnis bieten und die Gastronomie ganztags warme Küche. Das eigene Produkt und weitere Schweizer Käse müssen erhältlich sein. Und dies an 364 Tagen im Jahr. Schliesstag ist einzig der erste Weihnachtsfeiertag.» Das sind einige Herausforderungen in einem dezentralen Ort wie Stein – dafür spiegelt der Standort eindeutig die Struktur des Appenzellerlandes. Zudem hat sich die Freizeitkultur verändert. In den 1970ern wurde die Idee der Schaukäserei geboren, um die Milchwirtschaft wieder mehr ins Bewusstsein der Konsumentinnen und Konsumenten zu rücken und zu zeigen, dass die Milch eben nicht einfach aus dem Tetrapak kommt sondern auch hochwertige Produkte daraus hergestellt werden. Die Strategie hatte Erfolg. In den 1980er Jahren war die Schaukäserei ein beliebtes Ausflugsziel für Städterinnen und Städter. Inzwischen gibt es aber viel und starke Konkurrenz im Freizeitgeschäft und das potentielle Publikum ist mobiler. Ralph Böse und sein Team müssen sich also immer wieder etwas einfallen lassen. Der Rundgang ist zum Erlebnis für alle Sinne geworden, im Restaurant ist ein Panoramafenster direkt zur Küche angedacht und im Shop gibt es mehr als Appenzeller Käse: Böse schwärmt von den hauseigenen «Frisch-Fix-Fertig-Fondues» und und baut als Ergänzung zum hauseigenen Appenzeller das Sortiment an Weichkäse und Spezialkäse wie beispielsweise Gin-Käse aus Urnäsch weiter aus. Letzteren hat sich Paul Koller ausgedacht. Der Betriebsleiter der Käserei Urnäsch probiert gerne Neues aus, schliesslich ist er nicht an eine Sortenorganisation gebunden. Urnäscher Käse gibt es deshalb nicht nur mit Gin, sondern auch in einer Gouda-Version, als Tannenchäs oder – der Beliebteste – als Hornkuhkäse. Aber Melanie Bischof, Marketing- und Verkaufsleiterin verrät: «Eigentlich ist jeder unserer Käse ein Hornkuhkäse.» Genauso wie die Milch eines jeden Urnäscher Käses zu 100% von Urnäscher und Hundwiler Kühen stammt. Im Ort produziert, im Ort verarbeitet – das ist gelebte Nachhaltigkeit. Die Wege hin zum Käse sind kurz, die Wege zu den Kundinnen und Kunden länger: Bestellungen kommen aus der ganzen Schweiz, aus Deutschland und Österreich. Als Glücksfall hat sich die Nähe zum Urnäscher Reka-Dorf erwiesen, so Melanie Bischof: «Die Gäste aus der ganzen Schweiz schätzen unseren Käse und sie kaufen gerne am Produktionsstandort. Wir könnten auch einen 24-Stunden-Automaten aufstellen, aber da ginge der Kontakt verloren.» Denn die ausgezeichnete Beratung gehört dazu: Soll es ein milder, ein würziger, ein rezenter Käse sein? Ein Halbhartkäse oder ein Hartkäse? Welcher eignet sich als Dessertkäse? Martina Koller, die Leiterin des Chäslädelis der Urnäscher Käserei hat für jeden Anlass und für jeden Geschmack etwas Gutes parat. Gibt es auch etwas, dass nicht geht? Melanie Bischof überlegt kurz: «Beim Konsum ist alles erlaubt, die einzige Ausnahme: Beim Raclettekäse die Rinde abzuschneiden, das macht man nicht.»

«Obacht Kultur» N° 42, 2022/1