Künstlerische Innovationen – TaDa-Residents erfinden Textiles neu
by Kristin Schmidt
Einst war die Textilindustrie ein wichtiger Wirtschaftsfaktor in der Ostschweiz. Noch im frühen 20. Jahrhundert war Spitze aus St.Gallen das wichtigste Schweizer Exportgut. Die danach folgende Wirtschaftskrise ist noch immer im regionalen Bewusstsein verankert, aber dank Qualität und Innovationsgeist behaupten sich einige Ostschweizer Textilunternehmen auch heute im globalen Markt. Hier setzt TaDa an. Das Residenzprogramm bringt Künstlerinnen, Künstler und Personen aus verwandten Kreativbereichen mit Firmen zusammen und sorgt für wertvolle Impulse auf beiden Seiten.
Arbon — Ein Teppich ist ein Teppich, ein Küchentuch ein Küchentuch und Karkassen sind nicht zum Anziehen da, sondern um Autoreifen zu stabilisieren. Kommt die Kunst ins Spiel oder zeitgenössisches Textildesign, ist plötzlich alles ganz anders. Benjamin Mengistu Navet beispielsweise seziert maschinell gefertigtes Gewebe, indem er gezielt Fäden aus Tuchbahnen entfernt. Das entstandene Textilgerippe mit dem losem Fadenmaterial entpuppt sich als eigenständiger fragiler Stoff. Sein Ausgangsmaterial hat der belgische Modedesigner mit äthiopischen Wurzeln in einer Gastro- und Heimtextilienweberei in Bütschwil im Toggenburg gefunden – als Resident von TaDa. Hinter dem schwungvollen Namen verbirgt sich die Textile and Design Alliance. Als Kulturförderprogramm vor drei Jahren gestartet will TaDa die traditionsreiche Ostschweizer Textil- und Designkultur um künstlerische Auseinandersetzungen bereichern. Insgesamt dreizehn Unternehmen und Institutionen stellen für das Programm ihre Technologie, ihr Wissen, ihre Infrastruktur zur Verfügung, oder wie es Programmleiterin Marianne Burki kurz und bündig zusammenfasst: «Zeit, Personal, Maschinen, Material.» Es ist ein Austausch auf Augenhöhe. Benjamin Mengistu Navet betont: «Die Unternehmen sprechen von Produkten, aber die Kunst liefert eine neue Qualität: Es ist wichtig, die Diskussion zwischen Industrie, Handwerk und Kunst zu führen. Ich arbeite mit hier mit fünf Unternehmen zusammen und wir kreieren einen Dialog.»
Auswahl und Organisation
Jährlich sechs bis acht Kreative aus den Bereichen Kunst, Design, Architektur, Literatur oder den Bereichen der performative Künste können für jeweils drei Monate diese ergiebigen Schnittstellen zur Industrie, aber auch zu Institutionen wie dem Sitterwerk und dem St.Galler Textilmuseum nutzen. Bei Marianne Burki laufen die Fäden zusammen: «Wir bieten den Residents ein Netzwerk an, verbinden sie möglichst optimal mit den Unternehmen und ermöglichen Kontakte ins Design- und Kunstumfeld.»
Drei Monate sind keine allzulange Zeit, wenn es darum geht, innovative Projekte umzusetzen und neben der praktisch-künstlerischen Arbeit auch zu forschen. Um so wichtiger ist eine gute Organisation: Die Gäste bekommen eine Tour durch alle dreizehn Firmen, sie erhalten eine zehntägige Einführung, danach werden die eingegebenen Projekte revidiert. Genauso wichtig ist die Auslese im Vorfeld. Das Bewerbungsverfahren ist aufwendig und durchdacht: «Wir schreiben das Stipendium aus und ein achtköpfiges Kuratorium entscheidet. Beteiligt sind Personen aus der Wirtschaft, Künstler und Künstlerinnen, die Kulturförderer des Kantons und Personen aus dem Textilbereich. Die Bewerberinnen und Bewerber müssen nicht zwingend Erfahrungen im Textilbereich aufweisen, aber sie müssen begründen, warum sie für ihr aktuelles Projekt diesen Zugang benötigen und wie sie ihn fruchtbar machen wollen: Wir wünschen uns Personen, die das Maximum aus der Situation herausziehen können.»
Hochqualifizierte Bewerberinnen und Bewerber
Im ersten Jahr gab es 300 Bewerbungen, dann wurden die Eingabemodalitäten etwas konkretisiert uns es gab im zweiten Jahr 150 Bewerbungen für sechs Plätze auf hohem Niveau: «Es bewerben sich sehr qualifizierte Leute.» Zu diesen gehörten 2021 neben Benjamin Mengistu Navet beispielsweise der in Zürich und Riga ansässige Tobias Kaspar, der die Ergebnisse seines Atelieraufenthaltes in «INFORMATION (Today)» 2021 in der Kunsthalle Basel einfliessen lassen konnte, oder Andrea Winkler, die sich insbesondere für hochfunktionelle Textilien aus den Bereichen Sport, Arbeit, Schutz, Medizin und Technik interessiert. Sie hat Visuelle Kommunikation in Hamburg und Fine Art Media in London studiert und transferiert Industriegewebe in Kleidung. Ob Ellbogenschoner oder Karkassen oder Neopren – alles kann auch angezogen werden: «Ich arbeite ohne Schnittmuster und stelle mir bei der Arbeit kein Kleidungsstück vor, sondern eine Person.» Aus dem Modellieren der Materialien entstehen Textilobjekte, die zunächst wenig an tragbare Textilien erinnern, aber eine zusätzliche Funktion übernehmen: «Durch die wehrhafte Form können sich Menschen wappnen.»
Schnittstellen zu Industrie und Produktion
Winklers Jacken mit ihren Polstern, ihrer Asymmetrie und ihren Materialien muten ungewöhnlich an, funktionieren aber durchaus als Kleidung. Dank solcher Experimente werden die Grenzen zwischen Kunst, Angewandter Kunst und Handwerk fliessend. Birgt die Nähe zu Mode oder Produkt ein Risiko? Edit Oderbolz verneint. Die Basler Künstlerin hat ihren Atelieraufenthalt gemeinsam mit Laura Deschl, die in Holland und Deutschland arbeitet, und dem in Nigeria geborenen Olaniyi Rasheed Akindiya vor wenigen Wochen angetreten und sieht einen grossen Gewinn in der Nähe zu den produzierenden Unternehmen: «Wir können Erfahrungen und Wissen austauschen.» Und zwar auf Augenhöhe, wie auch Marianne Burki betont, denn die Residents sind hochqualifiziert und liefern den Unternehmen wertvolle Anregungen, die Dinge anders und neu zu denken: «Für uns ist es kein Thema, ob ein Projekt aus der angewandten Kunst stammt oder ob der Status Bildende Kunst ist. Hier arbeiten Kreative und es gibt keine Hierarchien. Viel wichtiger ist die Frage, wie wir der Gesellschaft nützlich sein können. Die Objekte können zwar Produkte sein, aber wir fördern nicht das Geschäft, sondern das Experiment. So müssen sich die Residents an diesem Punkt ihrer Arbeit noch nicht dem Markt beugen.»
Gebrauchsobjekte anders interpretiert
Edit Oderbolz beispielsweise befasst sich aus künstlerischer Sicht mit einem Gebrauchsgegenstand: «Der Vorhang ist ein Objekt, das zwar räumlich, aber auf einer Linie funktioniert. Er ist eine dünne, unterteilende Membran: privat – öffentlich, innen – aussen. Diese Einteilungen können umgedreht werden, die Frage ist, was geschützt werden soll.» Oderbolz versucht, die Attribute von Vorhängen neu zu denken, zu strapazieren und zu erweitern. Ihre Forschungsergebnisse werden bald öffentlich zugänglich sein, denn «TaDa bietet keinen Atelieraufenthalt zum Zurückziehen. Wir erwarten dass die Künstlerinnen und Künstler über ihre Arbeit öffentlich reden.», so Marianne Burki. Regelmässig finden die TaDa-Talks statt im Textilmuseum, es werden Besuche am Atelierstandort in Arbon angeboten sowie Performances und Präsentationen. Die drei Monate in der Ostschweiz sind also nicht nur sehr kurz, sondern auch sehr intensiv. Mitunter werden Projekte auch über die Residenz hinaus gezogen, wenn alle einverstanden sind: «Dies ist immer eine Ressourcenfrage und muss ausgehandelt werden.» Nun steht aber erst einmal der nächste Schritt für TaDa selbst an, wie Marianne Burki berichtet: «Die Absichtserklärung der Kantone liegt vor, den Pilot ab 2023 in die Übergangsphase zu begleiten. Wir können positiv in die Zukunft schauen.»