Darf´s ein bisschen mehr sein?
by Kristin Schmidt
Pablo Walser zeigt im Kunstraum Kreuzlingen ein Weltanschauungspanoptikum. Im Frühjahr hat der Künstler, in dessen Lebenslauf sich Thurgau, Sachsen und das Appenzellerland mischen, den Adolf Dietrich-Preis erhalten. Die Ausstellung ist Teil der Auszeichnung.
Etwas Ideologiekritik gefällig? Oder etwas vom Phrasensalat? Vielleicht ein wenig Schlagzeilensuppe? Und zum Nachtisch eine Religionsbowle? Die Tafel ist reich gedeckt im Kunstraum Kreuzlingen. Es ist für alle etwas dabei und falls etwas fehlen sollte, darf selbst weitergemalt, -geschrieben, -gezeichnet werden. Pablo Walsers Prinzip ist das des Miteinanders: Hier sind alle willkommen. Je mehr Beteiligte, desto wilder die Mischung und desto intensiver das Ergebnis.
Wer da versucht, den Überblick zu behalten, ist von vornherein verloren. Macht aber nichts, Zufallsfunde haben auch ihren Reiz. Sie locken in Wort und Bild, in Zitaten und auf Zeitungen, in Gemälden und Comicstrips des Künstlers. Überarbeitete Schullandkarten hängen neben Collagen im Schülermagazinstil, hastig hingeworfene Notizen neben eng beschriebenen Blättern, Gedrucktes neben Gekritzeltem, zartfarbige Zeichnungen neben grellen Aufrufen, deren Neonfarben dank bereit hängender Taschenlampen noch intensiver aufleuchten. Im Untergeschoss des Kunstraumes geht es weiter mit einer Videoprojektion und rosafarbenem Kinderelektromobil. Wer hineinpasst, kann seine Runden drehen vorbei an den Informationstafeln über «Verbrechen der Zukunft» und an einer speziellen Liebesbibliothek.
Bunt kommt das alles daher, sehr unterschiedlich in Form und Farbe. Aber gerade in dieser Menge und im Durcheinander ergibt sich ein stimmiges Gesamtbild. Das ist eine der Stärken von Pablo Walsers Ausstellung: Die verschiedenartigen Elemente stehen selbstbewusst für sich und münden gemeinsam in ein grosses Ganzes oder wie es auf Zeitungscollagen zu lesen ist: «Grütze mittenand» – zusammengerührt und sofort serviert.
Das gilt nicht nur für die Form, sondern auch für den Inhalt. Auch hier zelebriert Pablo Walser Vielfalt und Überfluss. Lustvoll schreibt und zeichnet er an gegen Grenzen, gegen Nationalstolz und Intoleranz, gegen Gewalt und Gewinn, gegen Zahlenfetischismus, Materialismus und manch anderen Ismus. Aber ganz ohne geht es dann doch nicht: Feminismus und Anarchismus haben ihren festen Platz in diesem Kosmos. Aber immerhin kommt der nie dogmatisch daher; dafür sorgt schon die unpolierte Form. Hier ist nichts auf Hochglanz und Bedeutung getrimmt, hier weht der Geist der Kommunen, der alternativen Lebensentwürfe und Sinnenfreuden. Das zeigt sich besonders im Video im Untergeschoss. Unter dem Titel «Die Abwesenheit der Liebe» feiert hier eine Parallelgesellschaft die Hochzeit des Universums. Ein altes Landgut bildet die Kulisse für ein buntes Völkchen und seine undurchsichtigen Aktivitäten. Jeder darf sich verkleiden, jede in eine Rolle schlüpfen, egal wie – Hauptsache friedlich und offen für die Anderen. Nur das Brautpaar läuft schliesslich davon und die Torte stapft gedankenverloren hinterher. Chaos ist Programm, doch das ficht niemanden an. Stattdessen übersetzen die Untertitel die sich ständig überkreuzenden Gesprächsfäden einfach mit «Crosstalk».
Der Begriff könnte als Motto über der gesamten Ausstellung stehen und ebenso für Pablo Walsers Umgang mit dem Quellenmaterial. Der Künstler bedient sich bei den Printmedien, im Internet, durchforstet die überall zirkulierenden Meinungen, Meldungen und Machtdemonstrationen. Er greift auf, was tagesaktuell wichtig erscheint, bedient sich aber auch in der Kunstgeschichte, bei alten Utopien, Philosophien und Ritualen. Die Stichwörter werden Pablo Walser also nicht so schnell ausgehen und wenn doch, steht ein Nachrichtengenerator in Glücksradform bereit: Auf zur nächsten Runde! Wer will, wer will, wer hat noch nicht?