Ahoi Frauen!

by Kristin Schmidt

Die Galerie Kirchgasse in Steckborn holt Ulrike Ottinger wieder an den Bodensee. Sie zeigt die Arbeit der Künstlerin, Fotografin, Filmemacherin und Autorin anhand ausgewählter Fotografien und eines Drehbuches.

Gold, Liebe, Abenteuer – Madame X lockt mit grossen Versprechungen, aber nicht alle sollen teilhaben. Die Piratenkönigin lädt nur Ausgewählte auf ihr Schiff: eine deutsche Försterin, eine europäische Künstlerin, eine amerikanische Hausfrau, eine Psychologin, ein Fotomodell, eine Buschpilotin, eine Südseeschönheit. Sie lichten die Anker und beginnen eine Reise zu erotischen, mörderischen und fantastischen Erlebnissen.

Auf unbestimmter Route kreuzen die Seeräuberinnen im südchinesischen Meer – beinahe zumindest, denn das Filmbudget reichte dann doch nur für den Bodensee. Das tut dem Film «Madame X. Eine absolute Herrscherin» allerdings keinen Abbruch, denn Ulrike Ottingers Erzähllust und Bildideen, ihre künstlerische Botschaft funktionieren ganz unabhängig von exotischen Schauplätzen. Und der Bodensee ist obendrein ihr Heimatrevier: Die avantgardistische, international geschätzte Filmemacherin Ottinger ist in Konstanz geboren und aufgewachsen. Der Bezugspunkt Bodensee ist also längst da, als sie 1977 aus Berlin zurückkommt, um hier zu drehen.

Ottinger selbst hat das Drehbuch für «Madame X. Eine absolute Herrscherin» geschrieben, sie führt Regie und steht hinter der Kamera, nicht nur der Filmkamera, sondern auch der Fotokamera. Die Künstlerin hat ihre Filmarbeiten selbst fotografisch begleitet. Das Ergebnis sind eigenständige Aufnahmen, die jetzt in einer kleinen Auswahl bei Kirchgasse in Steckborn zu sehen sind.

Das Spektrum reicht von Farbfotografien über eine grossformatige Collage bis hin zu Schwarzweissporträts der Protagonistinnen des Filmes. Die Farbaufnahmen mit ihrer leichten Unschärfe vermitteln einen lebendigen Eindruck einzelner Filmszenen. Sie dokumentieren die prachtvollen Kostüme wie auch die merkwürdige Ausstattung des Schiffes, das Ottinger als ausgemustertes Korsarenschiff aus Bregenz übernehmen konnte.

Während die Farbfotos wie Momentaufnahmen wirken, sind die schwarzweissen Aufnahmen durchkomponiert. Ottinger unterwandert hier die Riefenstahlsche Olympiaästhetik. Zwar sind die Kontraste hart, die Menschen schön und ihre Posen heroisch, aber die Kostüme bleiben Kostüme, auch wenn sie noch so martialisch aussehen, und im Ernst der Heldinnen schimmert stets ein Hauch Ironie.

Es ist kein Zufall, dass Ottinger ihren Film überwiegend mit Frauen besetzt hat – ein Mann kommt zwar vor, ist aber nicht eindeutig als solcher zu identifizieren. Ebenso wenig zufällig heisst das Schiff «Orlando», nach jener Romangestalt von Virginia Woolf, deren Geschlecht im Verlaufe des Buches wechselt. Ottinger reflektiert mit ihrer Arbeit die Situation der Frauen ebenso wie die damit verbundenen Ideologien: «In der Ideologie gehen die Präzision und das genaue Hinsehen verloren. Ich möchte genau hinsehen und daraus meine Themen ziehen.» Dazu gehört auch eine minutiöse inhaltliche und formale Vorbereitung: In der Ausstellung wird das Originaldrehbuch gezeigt. Es enthält Recherchematerial, Entwurfsskizzen, das Screenplay, die inhaltliche Herleitung der Charaktere, Kostümzeichnungen und vieles mehr. Beides – Drehbuch und Fotografien – erzählen auf kleinem Raum viel über die ebenso sorgfältige wie virtuose Arbeit der Filmemacherin Ottinger.