Abseits des staatlichen Kunstbetriebes
by Kristin Schmidt
Karikaturen über zeitgenössische Kunst sind beinahe so alt wie das Medium der Karikatur selbst. Seit über 150 Jahren betreibt die Karikatur Stil- und Geschmackskritik auf durchaus populäre Weise und hat Hodler oder Courbet ebensowenig davon ausgenommen wie Moore oder Rothko. Aber wozu wurde staatlich nicht gebilligte oder sogar totgeschwiegene Kunst in einem staatlich kontrollierten Publikationsorgan karikiert, das sich in millionenfacher Auflage an Menschen richtete, die fernab aller Museen lebten und dort ohnehin keine der karikierten Kunstwerke hätten sehen können? Diesen merkwürdigen Leerraum übersetzte Yuri Albert (*1959 in Moskau) in den 1970er und 1980er Jahren ebenso in Malerei wie er generell die Bildende Kunst jenseits des offiziell geförderten und geforderten sozialistischen Realismus thematisierte. Seine grossformatigen Gemälde nach Karikaturen ungegenständlicher oder abstrakter Kunst und seine Auseinandersetzungen mit der Existenz als systemunabhängiger Künstler in der Sowjetunion sind jetzt in einer grossangelegten Einzelausstellung im Kunstmuseum Liechtenstein zu sehen.
Albert gehört zu den wenigen, die abseits des staatlich überwachten Kunstbetriebes arbeiteten. Er ist einer der wichtigsten Vertreter der zweiten Generation des Moskauer Konzeptualismus und war damit wie andere auch aus dem staatlichen Kulturbetrieb ausgeschlossen: Ausstellungen und künstlerischer oder kunstkritischer Austausch fanden nicht statt oder nur im kleinsten, vertrauten Kreis. Das Diskursbedürfnis bahnt sich dennoch seinen Weg. Yuri Albert stellte in seinen Textarbeiten Fragen nach dem Marktwert, der Autorschaft, der Konkurrenz, der Tradition. Er übersetzte die Fachsprachen anderer besonderer Gesellschaftsgruppen in Bilder wie etwa die Stenographie, die Sprache der Seeleute, der Blinden oder der Gehörlosen und kennzeichnet sie als „Elitär-demokratische Kunst“. Damit verweist er sowohl auf die Sonderstellung dieser semiotischen Systeme als auch auf das Bedürfnis nach ebenbürtiger und verständlicher Kommunikation.
Yuri Alberts Reflexionen über die Kunst enden nicht mit dem Zusammenbruch des Systems. Das Kunstmuseum Liechtenstein zeigt auch jüngere Arbeiten und bat ihn zudem, mit der museumseigenen Sammlung zu arbeiten. Albert tut dies auf demokratisch-konzeptuelle Weise, indem er einen Raum mit sämtlichen Ausdrucken aus der Objektdatenbank des Museums tapeziert: Alles ist zu sehen und doch gleichzeitig nichts.
Bis 20. Januar
www.kunstmuseum.li