Nebel und Klang
by Kristin Schmidt
Peter Zumthor hat das Kunsthaus Bregenz als Leuchtkörper zwischen Berg und See konzipiert. Die Britin Susan Philipsz deutet ihn zusätzlich als Resonanzraum und erweitert die räumliche Verbindung bis jüdischen Friedhof in Hohenems.
„Man braucht ein Volk ohne falsche Töne. Ohne inneren Zwist.“ Ruhig gesprochen, eine einfache Feststellung, ins Deutsche übersetzt von Paul Celan. Seine poetische Sprache begleitet die deutsche Fassung von Alain Resnais´ Film „Nuit et brouillard“ über die Konzentrationslager der Nazis. Wer anders tönte, ob laut, ob leise, ob in Gedanken oder Einstellungen, wurde aussortiert, deportiert, vernichtet. Besondere Töne, individuelle Töne, eigenständige Töne waren unerwünscht.
Susan Philipsz interessieren die einzelnen Töne und ihr Zusammenklang. Die schottische Künstlerin, Preisträgerin des renommierten Turner-Preises, arbeitet seit langem mit Musik und Stimme, oft ihrer eigenen. Sie entwickelt Klangskulpturen, die weit über das tönende Objekt hinausgehen. Die Werke entstehen oft für einen bestimmten Ort, für eine Landschaft, den Stadtraum und Gebäude. Aktuell hat Philipsz das Kunsthaus Bregenz in einen Klangkörper verwandelt. Basis ihres Ausstellungskonzeptes ist Hanns Eislers Komposition für Resnais´ Film. Der österreichische Komponist war im Exil in den Vereinigten Staaten gewesen, wurde 1949 ausgewiesen und kehrte nach Europa zurück. Hier erreichte ihn 1955 Resnais´ Einladung, die Musik zu „Nuit et brouillard“ zu schaffen. Eisler illustrierte oder verdoppelte filmische Inhalte nicht einfach, sondern fügte dem Thema mit der Musik eine neue Ebene hinzu. Philipsz isoliert nicht nur die Musik – der Film wird der Vollständigkeit halber im Erdgeschoss des Kunsthauses gezeigt –, sondern auch die einzelnen Töne. Zwölf Lautsprecher hängen in jedem der vier Stockwerke des Zumthor-Baus, so viele wie eine Tonleiter Töne hat. Aus jedem Lautsprecher erklingt ein separat eingespielter Ton, pro Stockwerk mit einem anderen Instrument. Beim Gang durch das Kunsthaus beginnen die einzeln instrumentierten Töne miteinander zu klingen. Da sind Basslarinetten aus dem Erdgeschoss zu hören, Violinen aus dem obersten Stockwerk, hinzu kommen Hörner und Trompeten aus dem zweiten Obergeschoss, danach Stille und wieder Tonreihen. So entsteht Musik. Im Treppenhaus durchdringt sie das ganze Haus. Hier, an dem Ort, wo für gewöhnlich wenig bis keine Kunst von der Architektur ablenkt, schlägt die Hauptader der Ausstellung. Oder, um einen Vergleich der Künstlerin aufzunehmen: Hier strömt die Atemluft. Der Lufthauch ist in Fotografien festgehalten und bildet zugleich die Brücke zum „Nacht und Nebel“-Titel der Ausstellung. Denn nicht nur Resnais´ Film und Eislers Musik sind zentrale Punkte für Philipsz, sondern auch die transluzente Haut des Kunsthauses. Peter Zumthor liess sich vom Licht des Bodensees inspirieren, von den Dunstschleiern über dem Bodensee und den Reflexen auf der Wasseroberfläche. Philipsz setzt das Atmosphärische des Nebels in Analogie zum Verschwinden, zur Abwesenheit und den Unschärfen der Erinnerung. Die Ausstellung umfasst weitere Werke zu Eislers Leben und Kompositionen sowie Fotografien von im Kriege zerstörten Musikinstrumenten. Während diese Additionen eine weniger schlüssige Ergänzung der Ausstellung bilden, ist die Verbindung zum jüdischen Friedhof Hohenems eine grosse Bereicherung. Hier erklingt, 20 Kilometer entfernt vom Kunsthaus, ein fünftes Segment der zerlegten Eislerschen Komposition. Über zwölf Lautsprecher in den Baumwipfeln beim 400 Jahre alten jüdischen Friedhof werden Flötentöne abgespielt. Isolierte Klänge auch hier, die sie einem grossen Ganzen gehören. Susan Philipsz bringt nicht nur die Töne, sondern auch die Orte zueinander.