Vom Schwein haben und dem Ziegenproblem

by Kristin Schmidt

Heute schon Glück gehabt? Oder war es Schicksal? Musste es ja so kommen? Die Ausstellung «Unwahrscheinliche Möglichkeiten» geht dem Zufall auf den Grund und untersucht seine Komplizen Erwartung und Fatalismus.

Der starke Wanja zieht in die Welt hinaus um Zar zu werden. Den Weg weist ihm ein Dreikopekenstück: Zahl links – Adler rechts; an jeder Kreuzung, jeder Weggabelung. Selten zaudert er, immer verlässt er sich auf den Silberdreier. Nach vielen Abenteuern ist es vollbracht, der Bauernbursche Wanja ist in der fernen Zarenstadt eingetroffen und wird der neue Zar Iwan Wassiljewitsch. Otfried Preußler verwob bekannte Märchenmotive zu einer bildstarken Erzählung, an deren Ende der Gute über das Böse siegt. Selbstverständlich. Doch wie hat Wanja den richtigen Weg gefunden? War es Glaube, Zufall oder Schicksal? Symbolisiert der Münzwurf von allem etwas? Oder ist das eine so hilfreich wie das andere? Die aktuelle Ausstellung in der Probstei St.Peterzell ist dem Zufall gewidmet und dröselt dabei auch das verzwickte Verhältnis zu seinen Geschwistern Glück und Vorsehung auf. Es fängt bereits mit dem Eintritt an: Der einen mag der Zufall hold sein und die beiden Würfel fallen günstig, der andere weiss schon im Voraus, dass er nie Glück hat in solchen Dingen und würfelt tatsächlich zweimal einen Sechser – pro Punkt wird ein Franken fällig.

Die Ausstellung (Konzept, Gestaltung, Ausstellungsaufbau: Ueli Frischknecht, Christian Hörler, Angela Kuratli und Daniela Stolpp) zeigt eindrücklich, wie gross die Rolle des Glaubens ist, auch wenn sie nicht religiös motiviert ist: denn «Uns Menschen liegt der Zufall nicht. Wir sind es nicht gewohnt, dass Dinge grundlos geschehen, ohne Ursache. Kaum auf der Welt, beginnen wir sofort, Zusammenhänge zu suchen und – falls nötig – auch aktiv herzustellen.» In prägnanten Texten wird das Thema von Rolf Bossart und Emil Müller von der philosophischen und naturwissenschaftlichen Seite her behandelt. Schrödingers Katze fehlt hier ebensowenig wie der Abzählvers oder das Ziegenproblem. Aber auch die Empirie kommt nicht zu kurz. So wartet ein einarmiger Bandit auf Kundschaft. Statt der Früchte und Symbole erscheint eine Farbabfolge im Sichtfenster des Spielautomaten. Die entsprechenden Farbpunkte dürfen an die Wand geklebt werden und so füllt sich die Wand nach vielen Spielen mit einer rein zufälligen Textur – ein echtes Zufallsprodukt im Gegensatz zu den von Computern generierten Pseudo-Zufällen. Rechner können eben nur rechnen. Zwei Fotografien von Bernard Tagwerker zeigen dies eindrucksvoll. Für beide Bilder wurde von einem Computer aus 100 000 Punkten eine vorher bestimmte Anzahl in mehreren Durchgängen ausgewählt und gedruckt. Wäre der Zufall ein echter, liesse sich kein Muster erkennen, so aber zeichnet sich ein diagonales Raster ab.

Aber wir Menschen können Zufälliges noch schlechter vortäuschen. Auch dies lässt sich in der Ausstellung überprüfen: Ein einfaches Computerprogramm erkennt mit grosser Treffsicherheit, ob eine Zufallsfolge von einem Menschen stammt oder echt zufällig erzeugt worden ist. Kein Wunder also, dass wir so gut darin sind, Wahrscheinlichkeiten zu negieren und Lotto spielen wider besseres Wissen, Flugangst haben, aber jeden Tag ins Auto steigen, rauchen, aber Angst haben vor Haiattacken.

Doch der Zufall kann auch schön sein, so schön wie Bernard Tagwerkers «Flawiler-Serie». Der Künstler kombinierte aus einer Palette von 235 Farben jeweils fünf zufällig ausgewählte nach dem Zufallsprinzip und druckte sie im Siebdruckverfahren jeweils in acht Durchgängen. Es ist im engeren Sinne der Ausstellung kein Zufall, 78 dieser Blätter hier neben- und übereinander zu sehen, aber dennoch ein Glücksfall. Selbstverständlich erfolgte auch die Hängung nach dem Zufallsprinzip und verführt nur umso mehr zur Suche nach Entsprechungen.

Theres Senn geht die Sache anders an. Ihre dreiteilige Arbeit mit «Newtons Wiege», «Wespenschaukel» und «Besen» reizt im Stil von Versuchsanordnungen, die Möglichkeiten gedanklich durchzuspielen: Was passiert, wenn… Bei Mina Monsef hingegen ist alles schon passiert. Ihre Fotografien aus der Serie «Random» zeigen alltägliche Orte mit mehr oder weniger kleinen, mehr oder weniger zufälligen Verschiebungen ins Ungewohnte. Auch die Schnappschüsse der Serie «Travelling by Car» dokumentieren nicht nur zufällig ausgewählte Aufnahmeorte, sondern dort auch das seltsame Zusammentreffen der Dinge, der Architektur, Stadtmöblierung, Vegetation und Strassensignalisation, die mehr als einmal zufällig anmutet. Solche unbeabsichtigt entstandenen Situationen lassen sich auch in St.Peterzell finden, am besten mit einem Zufallsspaziergang des Reisebüros ZündWerk: Die beiden Künstlerinnen Regula Pöhl und Daniela Villiger organisieren den Zufall und bieten im Rahmen der «Unwahrscheinlichen Möglichkeiten» kleine Reisen ins Ungewisse an.