Das Bellen auf der A13
by Kristin Schmidt
Harlis Hadjidj-Schweizer, «A13», 2014 – Ein Kunstbeitrag für Obacht-Kultur
Unterwegs, auf der A13 gen Süden, in die Ferien. Der Verkehr fliesst. Plötzlich ballen sich rote Bremslichter auf der Fahrbahn. Stop! Stau? Ein Unfall? Die Gedanken schweifen nicht länger umher, sie sind ganz aufs Geschehen fokussiert. Gelassenheit weicht grosser Anspannung. Plötzlich ist nichts mehr selbstverständlich.
Harlis Hadjidj-Schweizer inszeniert den Moment des Kippens. Auf der Gegenseite eines zusammengefalteten blauen Posters ist ihr Bild einer Autofahrt reproduziert. Das monotone Blau kippt in intensive Farben und Kontraste. Die Routine hinter dem Lenker kippt in Herzklopfen. Grell blitzen die Frontscheinwerfer auf der Gegenfahrbahn, Rot und Gelb die Rücklichter direkt voraus. Die Spiegelungen auf dem regennassen Asphalt verdoppeln die intensiven Farben. Gesteigert werden sie durch die Grün- und Blautöne der Vegetation, des Himmels und des Bodens – die Farben vibrieren. Harlis Hadjidj-Schweizer hat die Szene selbst erlebt. Wie in vielen ihrer Gemälde entspringt die Bildidee für «A13» einem konkreten persönlichen Erlebnis. Zugleich transportiert sie eine andere Erinnerung, eine, die sich tief ins emotionale Gedächtnis eingegraben hat und das Herz mancher ebenso rasen lässt wie eine Ausnahmesituation auf der Autobahn.
Die Ausgangssituation ist ähnlich harmlos: Unterwegs, auf Wanderwegen, in der Freizeit, am Wochenende. Die Gedanken schweifen, das Auge ergötzt sich am Grün, an den wie hingestreut liegenden Bauernhöfen. Da schiesst er laut bellend um eine Hausecke oder aus seiner Hundehütte: Der Hofhund. Er verteidigt sein Revier oder zumindest bewacht er es. Beisst er wirklich? Darauf kommt es nicht an, die Alarmglocken schrillen im Kopf.
Die Angst vor Hunden hat einen Namen und gilt als Überbleibsel der Urangst des Menschen vor wilden Tieren. Und selbst, wenn keine pathologischen Cano- oder Kynophobie vorliegt, kann ein wachsamer Bläss bei manchen Wandernden Panikattacken verursachen. Es ist ein Rassemerkmal des Appenzeller Sennenhundes, dass er das Vieh unter ausdauerndem Gebell zusammentreibt und als Wachhund schnell, gern und lautstark anschlägt. Er gibt ein eindringliches Warnsignal, genau wie die grellroten Rücklichter: Achtung! Stop! Hier nicht weiter! Wer dennoch weitergeht, braucht starke Nerven.
Harlis Hadjidj-Schweizer ist 1973 in St.Gallen geboren und besuchte dort die Schule für Gestaltung, anschliessend studierte sie an der Ecole de Décor de Théâtre in Genf. Seit 1996 arbeitet die Künstlerin in ihrem Atelier in Gais und seit 2005 zusätzlich in St.Gallen.
Obacht Kultur No. 18, 2014/1