Frank Keller: Hypochondrien

by Kristin Schmidt

„Es ist ausgesprochen merkwürdig, aber immer, wenn ich so eine Reklame für ein Heilmittel lese, komme ich unweigerlich zu dem Schluss, dass ich an der darin beschriebenen Krankheit leide, und zwar in ihrer übelsten Form. Jedesmal stimmen die beschriebenen Anzeichen exakt mit allen Symptomen überein, die ich je an mir wahrgenommen habe.“, Jerome K. Jerome, Drei Männer in einem Boot, Bristol 1889

Bilder haben eine grosse Kraft. Sie können uns faszinieren, aber zugleich auch erschaudern lassen, uns verunsichern, uns anekeln. Dies funktioniert selbst dann, wenn sie nur wenige Quadratzentimeter Realität abbilden oder gar nur entfernt realen Dingen gleichen.

Was zieht uns an, was stösst uns ab? Können wir es rational begründen? Frank Keller spielt mit der sinnlichen Ambivalenz der Bilder ebenso wie mit der Zweideutigkeit der Sujets. Ausgehend von Aufnahmen menschlicher Haut, aber auch von der Schale einer Zitrusfrucht oder selbst gezüchteten Bakterienkulturen erzeugt der Ausserrhodische Künstler (*1964) am Computer virtuelle Landschaften. Mal wirken sie tief zerklüftet, mal ziehen sich feine Linien hindurch. Mal wuchern dunkle Stellen in ihnen und breiten sich myzelartig aus. Dann wieder brechen tiefrote Krater auf. Die bestimmende Farbigkeit erinnert mal an fahle, mal an gerötete Hautstellen oder sogar an abgestorbene Epidermis. Über einige Landschaften ist ein unbestimmter Glanz gelegt, der den Reliefcharakter noch betont. Obgleich alle Bilder vage an Bekanntes erinnern, ist doch bei kaum einem präzise zu bestimmen, was es zeigt. Dies wird noch dadurch gesteigert, dass Frank Keller ein rundes Format wählt. Es gibt keine horizontale oder vertikale Richtung vor, jedes Bild erscheint als Ausschnitt eines grösseren Ganzen.

Dadurch, dass der Künstler eindeutige motivische Hinweise vermeidet, ruft er den emotionalen Aspekt der Wahrnehmung ins Bewusstsein: Obgleich kaum etwas visuell fassbar wird, stellt sich mit hoher Wahrscheinlichkeit beim Betrachten der Bilder ein gewisses Unbehagen ein. Dies gilt nicht nur für die zweidimensionalen „Bildscheiben“, sondern auch für die „Moulagen“ in der Petrischale. Auch die handtellergrossen Wachsobjekte sind weniger Abbild konkreter Vorlagen als Imaginationen, die ins reale oder irreale kippen. Ihr künstliches Rosarot nähert sich zuweilen dem Inkarnatton. Die schwarzen Spitzen könnten Borsten sein oder Haare, aber wer ohne Vorurteile schaut, entdeckt, dass der gelbe Eiterpunkt nichts weiter ist als ein Stecknadelkopf, oder dass des Künstlers Fingerkuppen im Wachs Spuren hinterlassen haben.

Die „Moulagen“ werden in der Sackgasse eines Ganges präsentiert. Sie sind sorgfältig aufgereiht und bilden damit einen Gegenpart zu den über die Wände wuchernden „Bildscheiben“. Gemeinsam ist ihnen die runde Form, die beide wiederum mit den auf Kästen und Tablaren positionierten Glasbehältern „Vitro“ verbindet. Neben den ausgestopften Tieren aus dem Fundus des Hotels muten sie wie Objekte aus einer naturwissenschaftlichen Sammlung an. Ein jeder Glassturz ist eine Vitrine für vom Künstler gezüchtete Schimmelpilzkulturen. Zart und farbig breiten sie sich aus und lassen beinahe die begleitenden Fäulnisprozesse vergessen. Aber eben nur beinahe: Einmal mehr liegen hier Schönheit und Schauder sehr nah beieinander.

Text zur Kulturlandsgemeinde 2013 in Gais, „wohl oder übel“