Minimale Form – Maximale Wirkung
by Kristin Schmidt
Flavins Lichtarbeiten lösen die Grenzen auf zwischen Werk, Raum und Betrachter. Das Kunstmuseum St. Gallen zeigt eine repräsentative Auswahl seiner Arbeiten aus handelsüblichen Leuchtstoffröhren.
„the diagonal of may 25, 1963 (to Constantin Brancusi)“ – eine gewöhnliche, gelbe Leuchtstoffröhre von 244 Zentimetern Länge. Dan Flavin hatte sie in ihrer Halterung diagonal an der Wand seines Ateliers befestigt – eine radikale und folgenreiche Entscheidung. Flavin erkor ein kommerziell verfügbares Alltagsding als ausschliessliches Arbeitsmaterial.
Leuchtstoffröhren mussten weder eingefärbt, noch spezifisch in Form gebracht werden und waren damit perfekt geeignet für die später als Minimal Art bezeichnete Kunst. Im Gegensatz zu Künstlerkollegen, die ihre Werke herstellen liessen, konnte sich Flavin weltweit in den nächsten Elektroladen begeben, Röhren aus der begrenzten Vielfalt von vier standardisierten Längen und zehn Farben auswählen und seine Werke vor Ort schaffen. Daraus ergab sich für ihn eine grosse modulare Vielfalt von der Einzelröhre bis hin zu Raum umspannenden Installationen – wie die aktuelle Ausstellung im Kunstmuseum St. Gallen in einer konzentrierten und repräsentativen Auswahl zeigt. Schon für das Jahr 1991 hatte das Museum eine Einzelausstellung von Dan Flavin geplant, Einladungskarte und Plakat existierten bereits. Doch wegen gesundheitlicher Probleme des Künstlers musste das Projekt kurzfristig abgesagt werden.
Nun konnte gemeinsam mit dem mumok Wien eine Ausstellung realisiert werden und es gelang sogar, drei der frühen Icons nach St. Gallen zu holen. Sie sind Flavins erste Lichtwerke und entstanden in den frühen 1960er Jahren. Der Künstler montierte handelsübliche Glühlampen oder Leuchtstoffröhren auf monochrom bemalten Holzkörpern. Den gelben erleuchtet eine Glühbirne, der rote hat leuchtenden Gegenpart, und der schwarze mit diagonaler weisser Röhre erinnert an Malewitschs berühmtes „Schwarzes Quadrat“. Flavin bezieht sich mit den Objekten auf die Ikonenmalerei einerseits und die russische Avantgarde andererseits. Sie besitzen eine magische Präsenz und wollen doch nichts weiter sein als nackte Tatsache: „Auch ich war fasziniert von der spontanen, alles andere nahezu ausschaltenden Wahrnehmung fluoreszierenden Lichts als Bild. Inzwischen weiss ich, dass die physische Leuchtstoffröhre sich niemals auflöste.“
Genau diese Ambivalenz prägte Flavins gesamtes Werk und sorgte bei Publikum und Kritikern von Anfang an für ziemliche Verwirrung. Einerseits bleiben die Leuchten nüchterne, unveränderte Form ohne hinzugefügte symbolische Werte. Andererseits lässt das Leuchten die physische Materialität der Röhre zurücktreten – die Präsenz des unkörperlichen Scheins überwiegt.
Flavins Lichtarbeiten unterlaufen die klaren Konturen und Proportionen der Museumsräume, färben sie ein mit ihrem Licht und lösen die Grenzen zwischen Werk, Raum und Betrachter illusionistisch auf. Flavin proklamierte Klarheit, statt Mystifikation: „Ich ziele auf rasche Einsichten ab – Situationen, in die man sich kurzfristig begibt, hinein und wieder hinaus. Ich glaube, dass einem in diesem besonderen Lichtraum explizite Momente wiederfahren.“ Das lässt sich in der Ausstellung aufs Beste überprüfen. Beispielsweise im Oberlichtsaal, der in einen beidseitig begehbaren Korridor verwandelt wurde. Eine Stirnwand füllen grüne Leuchtstoffröhren und auf der Rückseite sind es gelbe. Hier scheint das Grün als Türkis durchzuscheinen, auf der anderen Seite verwandelt es sich langsam in Weiss. Das Gelb hingegen erscheint als Orange. Angesichts der überwältigenden Farbwirkung versucht das Auge, sich neu zu kalibrieren. Alles bleibt analysierbar. Flavin geht es nicht im Effekte, sondern um Farbe, Licht und Raum.
Im Saal mit der Lichtinstallation untitled (to a man, George McGovern) 1,2, 1972 fügen sich kreisförmige Leuchten in Dreiecksformation in die Raumnecken ein und überstrahlen diese zugleich. Zwei Versionen werden präsentiert, eine in kaltweissem Farbton und die andere in warmweiss. Flavin spielt mit Ornament und Geometrie, mit dem Kontrast zweier Farbnuancen und der für einmal anderen Basisform der Leuchtstoffröhre. Gewidmet ist das Werk dem demokratischen Präsidentschaftskandidaten und Kriegsgegner McGovern und erhält damit einen politischen Unterton. Fast alle der Werke Flavins tragen solche Widmungen und widersprechen damit minimalistischen Gepflogenheiten.
Im ersten Raum ist die Constantin Brancusi gewidmete gelbe Neonröhre flankiert von der Arbeit the nominal three (to William of Ockham), 1963. Der mittelalterliche englische Theologe und Philosoph verkörpert die strikte Trennung von Glaube und Wissen und ist damit für Flavin eine markante Identifikationsfigur. Bei „monuments“ for V. Tatlin erweist Flavin dem russischen Avantgardisten seine Referenz. Flavin antwortet aufs Tatlins Modell eines Turmes mit einem modularen Konstrukt aus allen vier Leuchtstoffröhrenlängen. In über 30 Jahren entwickelte er die unterschiedlichsten Varianten. In St. Gallen sind sechs davon so in den Raum verspannt, dass der sequenzielle Charakter der Werkgruppe betont wird und kein Verdacht der Monumentalität aufkommt. Flavin selbst setzte den Begriff des „Denkmals“ in Anführungszeichen: „um zu zeigen, wie absurd solche Dinge heute sind. Meine ‚Denkmäler` verlöschen, wenn die Lampen ihren Geist aufgeben – nach ca. 2100 Stunden.“ Dan Flavins Werke sind temporäre Markierungen im Raum, ambivalent und in schillernder Qualität.
NZZ am Sonntag