Gräser, Gummis, Gegenwelten

by Kristin Schmidt

Katharina Henking und Guido von Stürler arbeiten im Sommeratelier Weinfelden. Beide zeigen in der alten Remise ihren künstlerischen Blick auf Natürliches und von Menschenhand Geschaffenes.

Frontscheiben von Autos, ihrer Zehen entledigte Knoblauchknollen, Gartenschläuche und Fadengespinste haben auf den ersten Blick nicht viel gemeinsam. Auch auf den zweiten nicht – dennoch funktioniert die Ausstellung von Katharina Henking und Guido von Stürler in der Remise Weinfelden. Die beiden künstlerischen Positionen sind räumlich nicht vermischt, unterscheiden sich sehr in Form und Material, aber sie nehmen inhaltlich durchaus einen Dialog auf. Die Remise selbst bietet dafür den idealen Rahmen.
Die alten Treppen und Dielen knarren, manche Deckenbalken zwingen, den Kopf einzuziehen, kleine Räume liegen nah beieinander. Ursprünglich lagerte der Thurgauer Apotheker und Kaufmann Paul Reinhart in diesem Haus Kräuter und Gewürze. Wie passend, dass Katharina Henking hier in einem leicht erhöhten, offenen Raum eine filigrane, schwebende Pflanzeninstallation zeigt. Äste und zu Ringen gebogene Zweige hängen von der Decke, daran schaukeln getrocknete Gräser und Nutzpflanzen bei jedem noch so kleinen Lufthauch. Diese romantisch verträumte Anmutung wird gebrochen durch einen Massagehandschuh aus Plastik und zerknüllte Klebefolien, die sich um Pflanzenreste winden. Dieses industriell gefertigte Material ist transparent und glitzert wie ein Tautropfen und ist doch in seiner Künstlichkeit ein grosser Kontrast. Immer wieder inszeniert Henking solche Widersprüche. So steckt sie Pflanzenfasern in Folie oder verzwirbelt Polyesterfäden, die wie Insektenüberbleibsel im Dachstock hängen. Darunter, im ersten Obergeschoss wecken lose hängende Gummibänder die Assoziation von Fetisch und Spannung. Diese Materialien sind es auch, die als Klammer zu Guido von Stürlers Arbeiten wirken. Der im thurgauischen Wallenwil lebende Künstler kombiniert Auto-Frontscheiben, Gartenschläuche und metallene Servierteller mit Spiegeln, Lampen und Epoxydharzblöcken. Diesen Ensembles fügt er Ton, Marmormehl oder getrocknete Zitrusfrüchte hinzu. Auch hier sorgt der Zusammenklang aus natürlichen und maschinell gefertigten Dingen für Spannung. Verstärkt wird diese durch die Farbigkeit: Bewusst setzt von Stürler auf den Dreiklang der Primärfarben rot, blau und gelb, der dem Braun des gebrannten Tones und des Holzes gegenüber steht. Die Gegenwelten sind bewusst inszeniert und werden sogar in den virtuellen Raum hinein gesteigert: Guido von Stürler hat eigens für die Ausstellung mehrere Augmented Reality-Sequenzen programmiert. Wer mit einem bereit liegenden Tablet oder dem eigenen Smartphone die QR-Codes einliest, kann – wenn einige technische Aussetzer und Verzögerungen überwunden sind – dreidimensional erscheinende Ameisen über die Tonplatten krabbeln oder einen Vogel darüber fliegen lassen.
Vor zwei runden Lichtobjekten erscheinen dank Augmented Reality zwei Skulpturen: die Venus von Willendorf und eine männliche polynesische Figur. Bei einer dritten Arbeit erscheint Giorgio Vasaris «Allegorie der Geduld», jene muskulöse Schöne in doch recht ungeduldiger Warteposition: Im virtuellen Raum öffnet von Stürler ein weites Feld zwischen Kulturkreisen, Epochen, Natur und Kunst – und führt mitunter weit weg von der Ausdruckskraft der realen Gegenstände und Materialien. Die digitale Welt ist hier kaum mehr als verspielter Zusatz. Deutlich schlüssiger ist es, den Bogen von seinen Objekten mit Glas oder den tönernen Pflanzenhalmen zurück zu Katharina Henkings Installationen zu spannen und möglichen Fragen nachzugehen: Ist uns die Natur näher oder die Technik? Wie verhalten sich beide zueinander? Was kann die Kunst in diesem Verhältnis bewirken?