Explosion am Rorschacher Uferweg

by Kristin Schmidt

Statt «rendez-vous Ostschweizer Kunstschaffender» jetzt Billboards am See: Der Verein KulturFrühling Rorschach löst die dreiwöchigen Ausstellungen im Kornhaus ab durch Plakatflächen auf dem Uferweg. Roman Signer gestaltet den Auftakt dieser neuen Reihe.

Was Cannes kann, kann Rorschach auch. In Cannes werden jeden Sommer Plachen mit grossformatigen Fotografien auf dreiseitige Metallständer montiert: Wer dort auf der Promenade flaniert und des Blickes aufs Meer oder auf die anderen Flanierenden überdrüssig geworden ist, ergötzt sich an ästhetischen Lifestyleaufnahmen.

Jetzt kommen auch Rorschachs Gäste und Einheimische in den Genuss schöner Bilder. Die Metallständer dafür sind sogar baugleich mit jenen in Cannes. Letzteres ist kein Zufall. Thomas und Elisabeth Krucker sind im Sommer oft an die Côte Azur gereist, von dort hat das kunstaffine Paar die Idee mitgebracht, auch die Rorschacher Uferpromenade mit Fotografien aufzuwerten.

Jahrelang haben Kruckers mit dem Verein KulturFrühling einen Raum im Kornhaus Rorschach für Ausstellungen genutzt. Zweimal im Jahr stellten sie dort regionale zeitgenössische Künstlerinnen und Künstler aus. Damit spielten sie eine wichtige Rolle im hiesigen Kulturgeschehen, wo Räume knapp sind, in denen künstlerische Projekte mit offenem Ausgang entwickelt und präsentiert werden können. Im vergangenen Jahr nun war damit Schluss und gleichzeitig begann etwas Neues: Anlässlich der Ausstellung von Barbara Signer und Nathalie Price Hafslund, der 17. und letzten Präsentation im Kornhaus Rorschach, gewannen sie Roman Signer für ihr Billboardprojekt.

Thomas und Elisabeth Krucker haben die Plakatständer nicht produzieren lassen, um darauf schöne Lifestylefotos zu zeigen. Sie wollen die Kunst unter die Menschen bringen. Dass sie dafür auf ihre kuratierten Ausstellungen mit Originalkunstwerken verzichten und auf Reproduktionen des international etablierten Künstlers setzen, ist freilich ein Zugeständnis aus pragmatischen Gründen: Sind die Plachen mit den Fotos einmal montiert, müssen keine Ausstellungsaufsichten organisiert und Öffnungszeiten sichergestellt werden. Die Billboards sind rund um die Uhr zugänglich und das potentielle Publikum muss keine Schwelle überwinden, sondern erlebt die Kunst, oder zumindest deren Abbild en passant. Das funktioniert. Zumindest, wenn Roman Signer im Spiel ist.

Ob schlendernde Hundespaziergänger oder jugendliche BMX-Fahrerinnen, ob Rorschacherinnen oder Touristen, fast alle bleiben kurz stehen angesichts der zunächst rätselhaften Versuchsanordnung: Ein Mann – die Kunstkennerinnen und -kenner wissen um seine Identität, denn Roman Signer setzt sich immer selbst seinen künstlerischen Experimenten aus – sitzt in einem altertümlichen Kinderbett umgeben von mehreren Stahlzylindern. Sie sind mit Wasser gefüllt und enthalten einen Zünder. Ein weiteres Bild zeigt eine Explosion, ein anderes eine aufschiessende Wasserwand, die sich schliesslich zu einem feinen Nebel verflüchtigt, bis fast nichts mehr bleibt als ein paar umgekippte Zylinder und ein wenig Wasserdampf.

Die fünf Videostills entstanden während der letztjährigen Aktion Roman Signers vor dem Théâtre Nanterre-Amandiers in Paris und sie passen perfekt auf die Uferpromenade. Das Bett unter freiem Himmel, das umgebende Grün, das aufspritzende Wasser ergeben schöne Analogien zur Platanenallee in Rorschach und dem nahen See. Über diese formale Qualität hinaus funktioniert das Projekt auch auf einer anderen Ebene: Die Chronologie des Signerschen Ereignisses erschliesst sich nicht auf den ersten Blick, sondern die Installation verlangt ein kurzes Innehalten, um die Bilder in der richtigen Reihenfolge zu sehen. Solche Momente kann nur die Kunst schaffen, sie sorgt für die kleinen Unterbrüche im Alltag, selbst dann, wenn sie nur als Reproduktion daherkommt.