Bregenz: Das Kunsthaus als Klangraum

by Kristin Schmidt

Die Turner-Preisträgerin Susan Philipsz arbeitet mit Musik als Speicher der Erinnerung. Für ihre Toninstallationen zerlegt sie Musik in einzelne Töne und fügt sie über separate Räume hinweg wieder zusammen. In ihrer aktuellen Ausstellung verwandelt sie das Kunsthaus Bregenz in einen Resonanzkörper.

Klare Töne aus unbestimmter Richtung – Klarinette zuerst, abgelöst durch weiter entfernt klingende Violinen, dann Bassklarinetten ganz aus der Nähe, danach Stille und wieder Tonreihen. Susan Philipsz bespielt das Kunsthaus Bregenz in musikalisch wörtlichem Sinn. Zwölf Lautsprecher hängen in jedem der vier Stockwerke des Zumthor-Baus, soviele wie eine Tonleiter Töne hat. Aus jedem Lautsprecher erklingt ein separat eingespielter Ton, pro Stockwerk mit einem anderen Instrument. Beim Gang durch die Ausstellung und besonders durchs Treppenhaus lässt sich das Entstehen von Musik erleben. Hier klingen die einzeln instrumentierten Töne miteinander. Hier durchdringt die Musik das ganze Haus. Hier, an dem Ort, wo für gewöhnlich wenig bis keine Kunst von der Architektur ablenkt, ist die Hauptschlagader der Ausstellung. Susan Philipsz verwandelt das Bauvolumen in akustisches Volumen. Als Ausgangspunkt diente ihr Hanns Eislers Musik zu Alain Resnais´ Film «Nuit et brouillard» aus dem Jahre 1955. Warum Hanns Eisler? Warum diese innerhalb einer Woche entstandene Komposition? Philipsz arbeitet seit vielen Jahren mit Musik als Raum der Erinnerung, der politischen und kollektiven Geschichte. Bei ihren Recherchen entdeckte sie Resnais´ Dokumentarfilm und die damals revolutionäre Methode Eislers, filmische Inhalte nicht musikalisch zu illustrieren oder zu verdoppeln, sondern die Musik zu eigenständigen Aussagen zu befähigen. Die britische Künstlerin eignet sich die Komposition an, seziert sie und reduziert sie auf Violinen und Blasinstrumente. Die ursprünglich enthaltenen Stimmen anderer Instrumente haben Lücken hinterlassen. Dies alles taugt als Metapher, sowohl auf die während der sogenannten Nacht-und-Nebel-Aktionen der Nazis verschleppten Widerstandskämpfer und alle in den Konzentrationslagern getöteten Menschen als auch auf die Zensur von «Nuit et brouillard». Der Film allerdings ist in Bregenz nur im Untergeschoss zu sehen, während in den oberen Geschossen der hochästhetische Eindruck der Ausstellung gewahrt bleibt. Auch auf die sparsam verteilten ergänzenden Arbeiten hätte sich gut verzichten lassen. Sie befassen sich mal mit Eisler mal mit im Kriege zerstörten Blechblasinstrumenten, führen aber eher vom Kern der Ausstellung weg. Eine schlüssige Brücke hingegen schlägt Philipsz nach Hohenems. 20 Kilometer entfernt vom Kunsthaus erklingt hier ein fünftes Segment der Komposition – auf dem 400 Jahre alten jüdischen Friedhof am bewaldeten Abhang des Schwefelberges.

bis 3. April 2016

www.kunsthaus-bregenz.at