Hausfragmente als Erinnerungsbrocken

by Kristin Schmidt

Die Kunsthalle St. Gallen zeigt aktuelle Arbeiten von Petrit Halilaj. Der Künstler erschafft ausgehend von seiner persönlichen Biografie komplexe, monumentale Installationen.

Ein liegender Vierkantreif aus Stahl, innen hohl, an einer Stelle unterbrochen, mit Ziegelstaub gefüllt, ein weiterer Reif an der Wand lehnend – eine Minimal Art Skulptur? Die offenen Enden sind mit einem geborgenen Rohr verbunden. Sieht die Skulptur nicht aus wie ein Paar riesengrosse Ohrringe?

Angesichts der benachbarten Arbeiten schärft sich der Blick: Jene aneinandergereihten Metallkuben, gefüllt mit grauem, kleinteiligen Schutt fügen sich zu einem überdimensionalen Collier. Die Rhomben mit filigraner Binnenstruktur und voller gelbem Steinstaub erinnern ebenfalls an Ohrgehänge.

Indem die Besucher der aktuellen Ausstellung der Kunsthalle St. Gallen die Gestalt der Werke und ihre gegenständliche Vorlage entdecken, tauchen sie bereits tief in die Inhalte ein. Tatsächlich beziehen sich alle Arbeiten im ersten Saal auf ganz reale Vorbilder: Petrit Halilaj zeigt Schmuckstücke seiner Mutter in hundertfacher Vergrösserung. Auf ebenso subtile wie eindrucksvolle Weise thematisiert er damit nicht nur die eigene Biographie, sondern leistet Erinnerungsarbeit in europäischem Kontext: Halilaj wurde 1986 im Kosovo geboren. Seine Mutter hatte während des Kosovokrieges (1998-1999) ihren Schmuck zusammen mit Kinderzeichnungen ihres Sohnes zum Schutz vor Plünderern auf ihrem Grundstück in Kostërrc vergraben.

Das Grundstück und die Ruine des von seinem Grossvater in den 40er Jahren erbauten und im Krieg zerstörten Familienhauses durchziehen als Verweise, Bilder und in realen Elementen das Schaffen des Künstlers. So liess er steinerne Überreste des Hauses eigens für die Ausstellung nach St. Gallen transportieren und transformieren. Als Gesteinsstaub bedecken sie nicht nur die überdimensionalen Nachbildungen der Schmuckstücke sondern türmen sich im dritten Ausstellungsraum zu einem spitzen Kegel aus dem heraus Stahlbänder in den Raum ausschwingen. Sie tragen gerahmte Zeichnungen exotischer Vögel und Landschaften. Die Bilder stammen aus der vergrabenen Truhe von Halilajs Mutter, sind also frühe Arbeiten des Künstlers. All die Papageien und Kakadus wirken nicht nur in hiesigem Kontext fremd, sondern auch dort, wo sie entstanden. Spiegelt sich in ihnen die pure Lust an Farbe und Form? Sind es Sinnbilder einer Sehnsucht? Zeigt sich in ihnen bereits die Imaginationskraft des Künstlers? Petrit Halilajs Installationen eröffnen ausgehend von der persönlichen Geschichte weite Assoziationsspielräume. Dies gilt auch für sein Video „Who does the earth belong to while painting the wind?!“. Wer sich auf den Gesteinsbrocken des ehemaligen Familienhauses niederlässt, die sich als Sitzgelegenheiten anbieten, erblickt die Umgebung eben dieses Hauses. Eine Hügellandschaft mit Gräsern und Blumen, sich paarenden Käfern, einer Spinne, Faltern – farbenfroh, bewegt, lebendig. Die Natur präsentiert sich so intakt, als wäre es hier nie anders gewesen als idyllisch. Dazwischen sind Archivbilder eingeblendet, die den 13jährigen Halilaj im Kirschenbaum sitzend zeigen, kurz nach der Rückkehr aus dem Flüchtlingslager. Alles Vorherige scheint vergessen und ist es doch gerade nicht. In den unbefangen, unpathetischen Blicken ist alles enthalten, ohne sich aufzudrängen. Auch das Hintergrundwissen zu den Arbeiten schränkt die persönlichen Reflexionsmöglichkeiten nicht ein. Zudem sind die Werke so sorgfältig ausgearbeitet, dass sich auch auf der formal-ästhetischen Ebene zahlreiche Zugänge und Verknüpfungen erschliessen. So wie sich etwa im Video die flirrenden Farben und Formen zu bunten Lichtpunkten auflösen sind die Steine zu Pigmenten zermahlen. Ganz unmittelbar wird hier die Vergangenheit zum Arbeitsmaterial des Künstlers: Aus der Zerstörung heraus entsteht bei Halilaj das Neue.