Eine Akustik wie in der Scala
by Kristin Schmidt
Die Oper kehrt zurück in die Lokremise. Kammer-, Kinder- und Kurzopern zeigen: Musiktheater im Depot funktioniert.
Die Lokremise 1992: Nicht mehr in Betrieb – aber trotzdem noch ein Depot. Nicht mehr Arbeitsplatz der Lokführer und Depotaufseher – trotzdem noch durchdrungen von Karrenschmiere und Maschinenöl. Nicht mehr Lokwerkstatt – und schon Kulturbühne als Aufführungsort des dramatischen Oratoriums „Jeanne d’Arc au bûcher“ von Arthur Honegger.
Der Verein Open Opera sucht seit seiner Gründung 1989 immer neue Spielorte jenseits der traditionellen Kulturinstitutionen. Sehr früh und wahrscheinlich als erste waren die Musiktheaterfreunde mit der Honegger-Inszenierung auf das grosse Potential der Lokremise gestossen.
Auch in der Rückschau, nach der Aufführung verschiedener Werke in Sport-, Industrie-, Einstell- und Messehallen, bleibt sie als einer der attraktivsten Open-Opera-Spielorte in Erinnerung. Kein Wunder also, dass der Verein jetzt gern hierher zurückkehrt. Mit einem besonderen Projekt, das am 18. August Premiere und Uraufführung feiern wird: Anlässlich des 20jährigen Vereinsjubiläums wurden bei vier Komponisten vier Kurzopern mit je fünf definierten Akteuren in Auftrag gegeben. Es gab für „Rüdisüli in der Oper – Etwas Fabelhaftes“ also konkrete Vorgaben, aber dennoch ebenso viele Variablen. Genau wie bei der Lokremise selbst. Die Säulen stehen unverrückbar fest, aber Zuschauer, Orchester, Chor und Solisten können flexibel platziert werden. Nicht einmal der fehlende Orchestergraben ist ein Manko, im Gegenteil: So kommt erst gar keine Distanz zum Publikum auf.
So sieht es auch Peter Heilker, Operndirektor des Theater St. Gallen:„Die Musiker sind zum Greifen nah, Theater bekommt Anfass-Charakter.“ Das Ensemble des Theater St. Gallen präsentierte in der Vergangenheit bereits einige Musiktheaterstücke in der Lokremise. Die Gegebenheiten des Ortes wurden dabei jeweils kreativ interpretiert. So kam die hier uraufgeführte Kammeroper «Night.Shift» des irisch-schweizerischen Komponisten John Wolf Brennan auf einem schlangenförmigen Catwalk daher, mit Chor und Musikern in den Buchten und dem Publikum im Rücken.
Bei allen Aufführungen ist die Lokremise und ihre besondere Atmosphäre immer auch selbst Teil der Inszenierung. Die nackte Wand, der Boden, die ausgestellte Technik stehen unsichtbar auf der Besetzungsliste. Das birgt besondere Reize, wenn Klassisches zur Aufführung kommt, wie etwa in der kommenden Saison das Musiktheaterstück „Das Herz bebt im Stillen“. Der szenische Abend ist aus Franz Schuberts Chorwerk heraus entwickelt und wird einmal mehr experimentell mit dem Ort umgehen.
Die Spezifik des Raumes ist die eine Lok-Besonderheit, seine Akustik die andere. Im Typotron-Heft über die Lokremise bekennt einer der ehemaligen Lokführer: „Wenn ich jeweils eine Maschine im Depot holte oder versorgte, sang ich immer… Unser Depot kam mir mit seiner herrlichen Akustik vor wie die Mailänder Scala…“ Auch Heilker schwärmt, der Klang sei weder zu trocken, noch zu hallig, die Sänger kämen perfekt durch. Das gilt selbst für Kinderstimmen; und so war Benjamin Brittens „Kleiner Schornsteinfeger“ auch sicherlich nicht die letzte Kinderoper in der Lokremise. Und vielleicht öffnen die Kurz-, Kammer- und Kinderopern ja bald einmal die Tür für die grosse Oper.
LOK Zeitung No. 2 (Juni, Juli, August 2011)