Vollmond im Frühstücksbrettchen

by Kristin Schmidt

Marianne Rinderknecht spielt in der aktuellen Ausstellung in der Galerie Paul Hafner einmal mehr mit Sehnsüchten und Unbehagen. Mit raffinierten Spiegelungen hinterfragt die Künstlerin die Erwartungen des Betrachters an den Begriff Schönheit.

Das Phänomen ist seit einiger Zeit bekannt: Eine neue Romantik durchzieht die Gegenwartskunst. Sehnsüchte, Träume, Wunschwelten werden thematisiert, Schönes wird gefeiert, Kitsch nicht ausgeklammert. Gemälde und Installationen zeigen ein neues Arkadien: die Farben sind bunter, die Menschen als Zeitgenossen erkennbar, doch die Orte sind dieselben, der Wald, das Meer, die Auen.

Auch Marianne Rinderknecht entführt den Betrachter in die Natur. Wer erinnert sich nicht an die grossformatigen Wandmalereien in der Neuen Kunsthalle oder an die letzte Ausstellung in der Galerie Paul Hafner: Der Betrachter fand sich umgeben von einer Landschaft aus amorphen Wucherungen in Rosa, Lila und Neontönen. Diese auf den ersten Blick so heile, so rosige Welt, zeigte sich auf den zweiten gespickt mit Irritationen und kleinen Giftspritzern.

Diese besondere Durchdringung von Abgrund und Idylle, von Schön und Schaurig gelingt der 1967 geborenen Künstlerin auch in der aktuellen Ausstellung bei Paul Hafner. Zunächst einmal fällt die formale Weiterentwicklung des Werkes auf. In einer Ecke des Galerieraumes fliesst eine monochrome Fläche über die Wand, an den Rändern akzentuiert durch einen weiteren verwandten Ton. Bei dieser grossformatigen Wandmalerei verzichtet Rinderknecht auf die früher so zahlreich gesetzten Binnenformen und damit auf die narrativen Momente.

Dies kommt der Kraft und Wirkung der grossen Gestalt zugute. Bereits hier gibt es Anklänge an Vegetabilien und diese Blumenform taucht dann in verschiedenen anderen Medien wieder auf. Die Ausstellung gleicht einer Komposition. Das Hauptmotiv wird immer wieder neu interpretiert und instrumentalisiert. Mal deuten andersfarbige Binnenformen tatsächlich so etwas wie Blütenblätter an, dann wiederum legen sich über einen monochrom grünen Untergrund kräftige rote Punkte. Ausserdem gibt es den Blumenumriss auf einem Tafelbild ebenso wie als Silhouette eines Objektes. Und stets erscheint er zweimal, nämlich an der Vertikallinie gespiegelt.

Spätestens hier zeigt sich, wie Marianne Rinderknecht mit den Erwartungen des Betrachters an Schönheit spielt. Ist ein Klon genauso schön wie sein Original? Lässt sich Schönheit durch die Spiegelung verdoppeln oder sind es nicht die kleinen Abweichungen, die Abwechslung, die Vielfalt, die Dinge in unseren Augen schön machen? Ist die perfekte Form auch die schönste Form?

Besonders augenfällig wird die Frage bei den kleineren Wandobjekten. Sie muten an wie Frühstücksbrettchen aus dem Brockenhaus, die ihre Ecken und Kanten längst im Alltagsgebrauch verloren haben. Ein jedes strahlt uns in einem beinahe schon unheimlichen Rosa an. Und als wäre dies nicht genug, scheint es weiss aus den einzelnen Täfelchen heraus, so als verstecke sich hinter jedem der Vollmond. Darüber gelegt sind feine dunkelrote Zellenstrukturen oder Netze aus verspielten Linien, die an die Kringel im Aufgabenheft oder Poesiealbum erinnern, aber auch an die aus der Chaosforschung bekannten Fraktale.

Diese Kontraste erzeugen das Spannungsfeld der Ausstellung. Marianne Rinderknecht spielt zwischen Virtuosität und Kitsch, stellt die technische Perfektion neben das Anheimelnde, sich beissende Töne neben Wohlklänge. Motive und Farben erzeugen Sehnsüchte und Unbehagen gleichermassen.