Nachtblaumaler und Raureiferin
by Kristin Schmidt
Im Auftrag der Uelliger Stiftung haben Jost Hochuli und Louis Ribaux ein Buch mit Notizen und Skizzen von Karl Uelliger herausgegeben. Das Museum im Lagerhaus begleitet die Publikation «Karl Uelliger – Skizzen und Notizen»mit einer kleinen Ausstellung.
Karl Uelliger war in vielen Techniken zu Hause: Ob Tempera, Acryl, Holzschnitt oder die Hinterglasmalerei – in den verschiedensten Arbeitsmethoden kam der 1914 geborene und vor zehn Jahren gestorbene Künstler zu seinem ganz eigenständigen Ausdruck. Sogar die Fassade seines Hauses in Dicken diente ihm als Untergrund für seine Malerei. Während dieses grosse Bild leicht die Blicke auf sich zieht, sind die allerkleinsten Werke Uelligers erst vor kurzem entdeckt und von Ruedi Bannwart und Madeleine Hunziker gesammelt und geordnet worden.
Das Ergebnis dieser Arbeit wird nun auf zweierlei Weise vorgestellt: mit einer Präsentation im Museum im Lagerhaus und einem Buch, herausgegeben von Jost Hochuli und Louis Ribaux im Auftrag der Karl und Hanna Uelliger Stiftung, veröffentlicht in der Verlagsgesellschaft St. Gallen. Hier ist nun ein kleiner Teil des bislang unbekannten Uelliger zu sehen, des Uelliger, der stets Notizbüchlein, Briefumschläge, Abreissblöcke, Merkheftchen oder selbstklebende Etiketten in den Taschen verbarg, um die zu jeder Zeit herbeifliegenden Gedanken in Wort oder Bild festzuhalten. Kein Zettel war zu klein, als dass er nicht noch für eine Zeichnung oder einen Satz Platz bot. Karl Uelliger beobachtete, dachte, fühlte und kritzelte schliesslich. Mal verkündet er: «Heute will ich meine Fantasie in der Sonnenkutsche fahren lassen», dann wieder sind es «Schneeflocken gesehen in Herisau», die seine Aufmerksamkeit fesseln. Erlebte Szenen aus dem Alltag kontrastieren mit poetischen Traumsequenzen. Da sitzen Menschen auf Kirchtürmen, reiten auf Wolken oder sitzen einfach nur auf einer Bank und warten, oder erscheinen Kreationen wie das Familienei, der Nachtblaumaler, der Spätsonderling, der Langnachtmorgen, die Raureiferin oder ein Sonnenregenbriefschreiber. Die Schrift steht dabei gleichberechtigt neben dem Bild. Es gibt ebenso Zeichnungen ganz ohne Text, wie es Verse oder Aphorismen ohne Illustrationen gibt. Und mitten in all dem steht plötzlich «Billet bestellen».
Karl Uelliger mischt Text und Bild, Beiläufiges und Philosophisches, und es ist eine Stärke des neu erschienenen Büchleins, genau das wieder aufzugreifen. Bereits vor dem Blick zwischen die Buchdeckel erfreut es den Leser und Betrachter ob der bei Gestaltung und Produktion an den Tag gelegten Sorgfalt. Und der gute erste Eindruck setzt sich im Innenteil fort. Texte und Bilder erscheinen in geistreichem Wechsel. Tagebuchaufzeichnungen und eine Kurzgeschichte geben ebenso aufschlussreiche Einblicke in Uelligers Kosmos wie eine Seite mit einer Liste besonders schöner Bildtitel wie «Dorfwinde erzählen Gassensagen», «Der Abendgänger nimmt die Nacht zum Schutzengel» oder «Mein Hausberg hat Wolkenfest zum Frühlingsanfang». Hier werden die Worte beinahe selbst schon zum Bild. Bei der Edition der Texte wurde mit grosser Achtung vor dem Original vorgegangen. Und das gilt auch für die nahezu vollständig in Originalgrösse reproduzierten Bilder. Die Druckqualität vermittelt einen Grossteil der Spontanität und Frische von Uelligers Skizzen. Das lässt sich leicht überprüfen bei einem Vergleich mit den im Museum im Lagerhaus ausgestellten Werken. Die zarten Linien, der mitunter zaghaft wirkende Strich, ja sogar die Grauwerte einer Bleistiftschraffur gingen im Buch nicht verloren. «Das Ganze ist mehr wie die Summe der Teile» zitierte Karl Uelliger auf einem seiner Zettel Aristoteles, und angesichts von Buch und Ausstellung möchte man hinzufügen: Doch jeder noch so kleine Teil lohnt der genauen Betrachtung.