Stadt, Land, Eis
by Kristin Schmidt
Doug Aitken inszeniert im Kunsthaus Bregenz fesselnde Bilder von urbanem Leben und unberührter Landschaft.
Ein. Aus. Ein. Aus. Ein. Gleichmässig atmet es im Erdgeschoss des Kunsthauses Bregenz. Wo die nur sparsam mit Kunstwerken bestückte Eingangshalle den Besucher begrüsste, ist nun eine beinahe intime Wohnzimmeratmosphäre entstanden. Mit runden Sitzpodesten unter gläsernen Lautsprecherkuppeln lädt Doug Aitken dazu ein, innezuhalten und zu lauschen. Ein, aus, ein, aus. Mit einem Male wird der zu hörende Luftstrom immer schneller ausgestossen, stoppt plötzlich, um sich zu einem ekstatischen Rhythmus zu steigern. Der Raum selbst scheint durch das Geräusch zu leben. Doch obgleich es einen mit seiner Vitalität fesselt, drängt die Neugier in die oberen Etagen der Räume.
Denn die vergangenen Ausstellungen mit Künstlern wie Douglas Gordon, Pierre Huyghe oder Olafur Eliasson haben gezeigt, dass das Kunsthaus Bregenz immer wieder mit atemberaubenden Inszenierungen einer jüngeren Künstlergeneration aufwartet. Zu dieser gehört auch Doug Aitken. Geboren 1968 in Kalifornien, ist er von der Film- und Musikstadt Los Angeles geprägt. Urbanes Leben, die Situation des Einzelnen im geschäftigen Treiben seiner Umwelt, die Randgebiete und blinden Flecken der Städte sind ebenso seine Themen wie die Weite unberührter Landschaft. Trotzdem Aitken im Videofilm sein bevorzugtes Ausdrucksmittel gefunden hat, wäre es zu kurz gegriffen, ihn als Videokünstler einzuordnen, hat er doch den Umgang mit dem Medium entscheidend bereichert. Er erweitert den eigentlichen Projektionsraum zu einer Installation mit kalkulierten architektonischen Eingriffen. Die Zweidimensionalität der Leinwand wird aufgehoben, der Betrachter ist umgeben von riesigen beweglichen Bildern. Ununterbrochen ändert sich die Zeit- und die Raumwahrnehmung. So auch im ersten Stock des Kunsthauses. Inmitten eines an einer Seite offenen Kreuzes aus Leinwänden wandert der Blick zwischen drei Projektionen hin und her. Industrie, Politik, Konsum, Reisen, Arbeit und soziale Ordnung: Die Bilder wiederholen, überschneiden sich, werden gegeneinander ausgespielt. Ihr evokatives Potenzial steigert sich durch die ungewohnten Zusammenklänge, ihren schnellen Wechsel. Hier kommt die Musikvideogeneration auf ihre Kosten. Ein anderes Szenario bietet sich ein Stockwerk höher. Die Installation wirkt leichter, offener als die eben gesehene, die Bilder ruhiger, gewaltiger.
Sechs Leinwände fügen sich zu zwei Bogen, die durchschritten und umkreist werden können. Von allen Seiten bietet sich ein überwältigender Blick auf einen Gletscher. Es ist ein Rieseln, Tropfen, Reissen und Splittern. Die Sonne brennt, das Eis schmilzt. Den Kontrast zu diesem beinahe immateriellen Panoramabild erwartet den Betrachter dann im obersten Geschoss. Wieder rieselt und tropft es, doch in einer monumentalen Architekturkulisse versammeln sich die Rinnsale nach und nach zu einem Wasserfall. Durch das in einem Holzzylinder geschlossene Rundbild fesselt den Betrachter ein noch stärkerer Panoramaeffekt. Aitken versteht sich auf perfekte Inszenierungen und hat im Kunsthaus Bregenz erfahrene Helfer auf diesem Gebiet zur Seite. Wo in der Vergangenheit Eisschiffe schmolzen oder Filmbilder in nachtschwarzer Umgebung ihr suggestives Potenzial entfalteten, findet er sich in guter Gesellschaft. Einer Gesellschaft allerdings, deren Arbeit ob ihrer Perfektion und Wirkungskraft stark nachklingt und präsent bleibt. Aitken muss sich mit seinen Vorgängern messen lassen; er schafft es, dass trotz inhaltlicher und gestalterischer Parallelen keine Langeweile aufkommt.