Ein Haus im Haus
by Kristin Schmidt
Im Kunsthaus Bregenz steht ein Ein-Zimmer-Haus. Es erinnert an futuristische Filmkulissen und Wohnmaschinen. Es ist zum Teilen gedacht, von einer Künstlerpersönlichkeit, die anonym bleiben will.
Das Wasser läuft, der Strom fliesst, der Kühlschrank kühlt, das Haus funktioniert. Nur ein Dach hat es nicht – braucht es auch nicht. Denn dieses Haus ist ein Parasit. Es braucht einen Wirt, von dem es seine Energie bezieht, in dessen System es sein Abwasser einspeist und der eine zusätzliche schützende Hülle bietet. Ein Haus als Schmarotzer also? So einfach ist es nicht. Das Haus, zusammengesetzt aus Aluminiumplatten, steht im Kunsthaus Bregenz im dritten Obergeschoss auf kleinen Stelzen. Dazwischen ist Platz für Zu- und Ableitungen, für Generatoren und Motoren. Zwei der Wände des Hauses lassen sich wie die Flügeltüren eines Sportwagens hydraulisch nach oben öffnen. Eines der Fenster gibt den Blick frei auf ein WC, wie es an Autobahnparkplätzen zum Einsatz kommt: aus Edelstahl und ohne Klappsitz. Alles ist auf lange Haltbarkeit ausgelegt, wirkt nüchtern und kühl wie das Cyberpunk Ambiente aus «Blade Runner» oder anderen Science Fiction Filmen. Nur die Matratze lädt zum gemütlichen Ausruhen ein. Immerhin. Denn das Haus ist für die Benutzung konzipiert, und es ist nicht nur ein Parasit, sondern ein Geschenk.
Nabelschnur des Hauses
Noch wird das metallene Haus vom Kunsthaus Bregenz mit Strom und Wasser versorgt: Im zweiten Obergeschoss sind eigens die halbtransparenten Deckenelemente entfernt, um das Rohrsystem zu zeigen, an dem das Haus wie an einer Nabelschnur hängt. Noch. Denn dieses Haus soll Künstlerinnen und Künstlern überall dort zur Verfügung stehen, wo es gebraucht werden könnte. So ist es im Konzept zur Ausstellung festgehalten. Wer es allerdings erdacht und konstruiert hat, muss streng geheim bleiben. Das gesamte Team des Kunsthauses Bregenz hat eine Einverständniserklärung unterzeichnet und verrät den Namen der Künstlerin oder des Künstlers nicht. Wer spekulieren möchte, kommt immerhin darauf, dass es sich um eine bekannte Person aus dem Kunstbetrieb handeln muss. Denn einerseits sind die grossen Namen ein Markenzeichen im Kunsthaus Bregenz – der anonyme Auftritt war nicht von Anfang an so vorgesehen. Andererseits muss es sich eine Künstlerpersönlichkeit leisten können, ihren Namen nicht im Kontext dieser renommierten Institution zu nennen.
Verzicht und Geschenk
Aber so berühmt die Person auch sein mag: Die eigene Identität nicht preiszugeben, ist sowohl ein Verzicht als auch ein Zeichen. Dahinter steckt der Wunsch, ein Werk zu produzieren, das unabhängig bleibt von den kommerziellen Interessen des Kunstmarktes, das nicht in einer Privatsammlung landen soll und das sich der Vermarktung durch die ausstellende Institution entzieht. Stattdessen wird das Ausstellungsbudget genutzt, um einen Wert zu schaffen, der anderen Künstlerinnen und Künstlern zugute kommt – so ist es in den Vereinbarungen zu diesem Haus festgehalten: Wenn die Ausstellung zu Ende ist, soll das Haus reisen. Es erhält ein Dach und eine Isolierung. Wie letztere aussehen könnte, wird im ersten Obergeschoss demonstriert. Dämmelemente, gefüllt mit Steinwolle stehen hier frei im Raum. Mit ihrer gefaserten Oberfläche in vielen Brauntönen präsentieren sie sich in diesem Kunstkontext als Bindeglied zwischen Bauteil und Relief, zwischen Paravent und Bild. Dank dieser Dämmung kann das Gehäuse auch im Freien als temporärer Wohn- und Arbeitsraum genutzt werden. Damit es transportabel wird, ist es modular konzipiert. In dieser minimalistischen, funktionalen Bauweise erweist es dem Bauhaus ebenso Reminiszenz wie ursprünglichen Formen des nomadischen Wohnens. Und weil auch die Publikation zur Ausstellung zweckmässig ist und nicht einem Künstlermythos dient, ist hier Do It Yourself angesagt: Im Erdgeschoss steht ein Kopiergerät aus den Büros des Kunsthauses. Hier kann die Bauanleitung und das Inventar dieses Atelierhauses vervielfältigt werden – so geht Teilen ganz ohne Eitelkeiten.