Schmiede und Bären im Kunsthaus

by Kristin Schmidt

Seit Małgorzata Mirga-Tas 2022 den polnischen Pavillon an der Biennale Venedig gestaltete, ist sie weltberühmt. Jetzt zeigt sie im Kunsthaus Bregenz die Ausstellung «Tełe Ćerhenia Jekh Jag»: Unter dem bestirnten Himmel brennt ein Feuer.

Eine Kunstausstellung als Reise: Wer das Kunsthaus Bregenz betritt, ist einen Sommer lang weit weg von Bodensee und Alpen. Stattdessen setzen die Besucherinnen und Besucher ihren Fuss in das Dorf Czarna Góra. Hier am Fusse der Hohen Tatra im polnischen Teil der Region Zips ist Małgorzata Mirga-Tas aufgewachsen – und sie lebt und arbeitet noch immer dort. Die 1978 geborene Künstlerin gehört der ethnischen Minderheit der Romnja an. Dem Sog der grossen Metropolen widerstehend, findet sie in ihrer Heimat ihre Motive, ihre Themen und den Anlass, die Traditionen mit neuen Augen zu sehen. Auch ihr Arbeitsmaterial und ihre Technik knüpfen an ihre Herkunft an: Mirga-Tas arbeitet mit farbenprächtigen Stoffen und gebrauchter Kleidung, oft mit floralen Mustern. Die Textilien wurden von Verwandten und Bekannten gespendet. Gemeinsam mit anderen Frauen näht die Künstlerin daraus gegenständliche Bilder.

Wächter aus Russ und Wachs

Das erste Obergeschoss des Kunsthauses ist Czarna Góra und seinen Menschen gewidmet. Die Textilcollagen zeigen Frauen und Kinder des Dorfes, einstöckige Holzhäuser, blühende Obstbäume, Hühner, Pferde und im Hintergrund die Gipfelketten des nahen Gebirges. Es sind idyllische Szenen. Ganz ausgeblendet ist die Gegenwart dennoch nicht. Mal ist es ein grüner Monobloc-Stuhl, der die heutige Zeit verrät, mal ein himmelblaues Kindervelo – und die Künstlerin selbst. Sie und weitere drei Frauen sind auf einem der Bilder bei der Arbeit zu sehen: Sie nähen einen der «Jangare», die in der Ausstellung zu sehen sind. Aber nicht aus Stoff, sondern als menschenähniche Figuren aus mit Russ eingefärbtem Wachs. Die Wortneuschöpfung der Künstlerin leitet sich ab vom Romanes-Wort für Kohle. Den «Jangaren» schreibt sie eine magische, Unheil abwendende Ausstrahlung zu. So wachen sie nun über die Siedlung wie der von Rabbi Judah Loew ben Bezalel erschaffene Golem über das Ghetto. Zudem sind sie angelehnt an die kleinen magischen Figuren aus Wachs, Tierknochen und Haaren, die von Romnja gefertigt werden.

Schmiede mit Sternenhimmel

Den Männern, genauer: den Schmieden, ist das zweite Stockwerk gewidmet. Hier hat Małgorzata Mirga-Tas ihre Textilcollagen zu einem kleinen Haus zusammengefügt: Es ist der Holzschmiede ihres Grossonkels nachempfunden. Auch ihr Grossvater war Schmied. Die Porträts der beiden hat sie in ihre Schmiede integriert. Mit diesem Werk ehrt sie ihre Vorfahren und deren harte Arbeit. Das Schmiedehandwerk war typisch für die südpolnischen Roma und zeigt Parallelen zur Alchemie: Mithilfe des Feuers wird Materie verwandelt. In Mirga-Tas´ Installation wird die Schmiede zu einem familiären Ort, der eng mit dem Kosmos verbunden ist: Die Innenseite des Daches ist sternenübersät – eine ebenso poetische wie weitreichende Lesart der Tradition.

Bären als Beschützer

Das Dorf und die Schmiede zurücklassend steigen die Reisenden anschliessend in das Gebirge hinauf: Hier, im dritten Obergeschoss des Kunsthauses, stehen die Bären im Mittelpunkt. Deren Dressur war jahrhundertelang das Metier der Roma. Aber Małgorzata Mirga-Tas zeigt die Bären nicht als dressierte oder eingesperrte Kreaturen. Statt dessen begegnen sich Mensch und Tier im Einklang und auf Augenhöhe. Zugleich spannt sich der Bogen zu den Jangaren: Bären aus schwarz eingefärbtem Wachs übernehmen die Rolle der Beschützer der Gemeinschaft. Auch hier dominiert die Idylle. Und doch steckt viel mehr dahinter: Die Künstlerin verbindet Ritual und Erinnerung mit der Gegenwart. Aus dem kollektiven Gedächtnis heraus lässt sich die Geschichte neu und selbstbestimmt weiterschreiben.