Das Legoprinzip in der Malerei

by Kristin Schmidt

Die Hauptrolle in der neuen Ausstellung der St. Galler Galerie Wilma Lock spielt, neben rechten Winkeln, Vierecken, Dreiecken und Linien, die Farbe. Aus gebrochenen und dennoch kräftigen Tönen konstruiert der 1953 geborene und in New York lebende Stephen Westfall geometrische Strukturen. Er baut Formen zu Bildern zusammen – vergleichbar, wie er selber sagt, dem Aneinanderfügen von Wörtern zu Sprache oder von Legobausteinen zu Gebäuden. Jedes einzelne Element mutet dabei selbst wieder wie ein kleines abstraktes Gemälde an.

Was auf den ersten Blick überschaubar aussieht, irritiert auf den zweiten mit kleinen Verschiebungen der Gitternetze aus der Vertikalen oder Horizontalen und subtil ausbalancierten Ungleichgewichten. Befinden sich die dunk- len Vierecke auf hellerem Grund oder wird ein dunkler Grund von hellen Linien zerschnitten? Die Raster schwingen vor und zurück und greifen in den Raum hinein. Die Leinwände scheinen sich zu bewegen oder provozieren Nachbilder. Dem Betrachter werden optische Gesetzmässigkeiten und Wahrnehmungsprinzipien bewusst gemacht. Und die Ölgemälde lohnen einen dritten, längeren Blick. Dann offenbaren die klaren einfachen Formen suggestive Qualitäten. Sie bieten Raum für Erinnertes, für Gefühle und Stimmungen. «Advent» etwa gemahnt mit seinen regelmässig gesetzten bunten Rechtecken an Kalenderfenster. «Cary Grant» kommt nicht von ungefähr in elegant klassischer Farbkombination daher. «Come Pick me Up» atmet die Luft und Leichtigkeit eines sonnenüberfluteten Strandtages. Querstreifen werden plötzlich zur heruntergelassenen Jalousie und Horizontalbalken zu den Säulen der Villa. Westfall duldet solche Gedankenspiele nicht nur, sondern wünscht sie sogar. Die konsequente Abstraktion lädt seine Bilder mit Zeitlosigkeit auf und nimmt die allgegenwärtige Sehnsucht der Menschen nach Geheimnissen und die Sinnlichkeit des Unausgesprochenen ernst. Nur in den Bildtiteln winken verborgene, poetische Assoziationen.