Mit den Waffen der Kunst

by Kristin Schmidt

Wie weit können, dürfen, sollen politische Inhalte mit künstlerischen Mitteln komuniziert (und unterlaufen) werden? Die Gruppenausstellung «Protest! Respect!» geht den Formen der Ästhetisierung von Politik und Gesellschaft nach.

Im vergangenen Jahr erklärte der Holländer Joep van Lieshout, Gründer des Ateliers van Lieshout, sein Ateliergelände am Rotterdamer Hafen zum Freien Staat. In «AVL-Ville» werden alle Grundbedürfnisse menschlichen Lebens befriedigt. Es ist für Nahrung gesorgt, für Medikamente und Bildung, aber auch für eine eigene Währung und eine Verfassung. Ausserdem produziert «AVL-Ville» Waffen. Diese Kampfwerkzeuge sind derzeit in der Kunsthalle St. Gallen ausgestellt. Unter dem Titel «Protest! Respect!» untersucht Kunsthallenleiter Gianni Jetzer die Schnittstellen zwischen Politik und Ästhetik.

Das Augenmerk liegt auf den Vermittlungsstrategien für gesellschaftspolitische Inhalte, die sowohl im medialen Alltag als auch in der Kunst angewandt werden. Anri Sala, aufgewachsen in Tirana, kombiniert in seiner Videoinstallation «Intervista» einen kommunistischen Propagandafilm, Nachrichtenbilder aus Albanien und neu gefilmte Szenen im Stil des sogenannten Realityfernsehens. Durch den familiär autobiografischen Hintergrund des Filmes werden pauschale Urteile über das kommunistische Regime vermieden und durch eine persönliche Geschichte ersetzt. Im Gegensatz dazu sind die scheinbar realen Akteure in der Arbeit Karla Rockmasters K. nur fiktive Charaktere.

Indem der Zürcher Künstler fundamentalistische Embleme, faschistische Bildsprache, die Optik von Fahndungsfotografien und Pop-Mode mischt, unterwandert er die bekannten Klassifizierungsmöglichkeiten und zeigt, wie verblüffend austauschbar die Bilder und Logos sind. Zugleich offenbart die Arbeit einen zweiten roten Faden innerhalb der Ausstellung: Die Bildung von festen Gruppen funktioniert nur in der bewussten Abgrenzung nach aussen. Erst die Definition des Anderen, des Umliegenden macht ein Territorium zum abgegrenzten Lebensraum einer in sich geschlossenen Gemeinschaft. Während die zur Verteidigung gedachten Waffen des Ateliers van Lieshout verdeutlichen, dass das eigene Territorium ständig gefährdet ist, erzählt die Arbeit des Genfers Gianni Motti vom permanenten Streben mancher Staaten, diese Fläche erweitern zu wollen. «Base of Tranquillity» stellt eine massstabsgetreue Replik der amerikanischen Fahne auf dem Mond dar. Wie knapp bemessen hingegen der einem sowjetischen Staatsbürger im sozialen Wohnungsbau zugedachte Platz war, steckt Olaf Nicolai in seiner Arbeit «Lenin» mit einem paillettenbestickten Stoffstück ab: Acht Quadratmeter glitzern auf dem Boden als Symbol für privaten Lebensraum in einem Eigentum ablehnenden Gesellschaftssystem.

Missstände zeigen

Die westliche Welt mit ihrem gesicherten Recht auf Privatsphäre und Meinungsfreiheit ist das Ziel für Menschen auf der Flucht vor Folter und Vernichtung. Asylanten machen von dem bereits in der Antike entwickelten Recht Gebrauch, das ihnen an bestimmten Stätten Schutz und Obdach garantiert. Bis zur Anerkennung ihres Status leben Asylsuchende oft in der Illegalität und unter ständiger Angst vor Abschiebung. Santiago Serra widmet ihnen besondere Aufmerksamkeit. Der in Mexiko lebende Künstler verpflichtet in seinen international kontrovers diskutierten Aktionen arbeitslose, asylsuchende oder obdachlose Freiwillige, sich für einen Minimallohn tätowieren zu lassen, in Behelfsquartieren zu wohnen oder wie in der Kunsthalle St. Gallen schwere körperliche Arbeit zu verrichten. Mit seinen symbolischen Arbeiten visualisiert Serra soziale Missstände und das harte Gesetz von Angebot und Nachfrage. Die Ausstellung, in der ausserdem Werke von Shahrzad, Annelise Coste, Jens Haaning und San Keller zu sehen sind, will keine politische Manifestation sein. Dennoch werden in den Videos, Installationen, Fotografien und Objekten eindeutige Standpunkte zu kontroversen Themen bezogen und damit auch die Betrachter zur Stellungnahme aufgefordert.