«Die Kunst muss im Zentrum stehen!»
by Kristin Schmidt
Abschied nach zwei Jahrzehnten: Richard Tisserand hat als Kurator das Programm des Kunstraumes Kreuzlingen über viele Jahre hinweg geprägt und war dabei immer auch als Künstler aktiv.
Kuratieren Künstler und Künstlerinnen besser? Immerhin kennen sie beide Seiten, die der Ausstellungskonzeption wie jene der Kunstproduktion. Sie wissen um die Situation der Kunstschaffenden, bewegen sich oft in einem grossen Netzwerk und sammeln ebenso oft selbst Kunst. So haben Albert Oehlen, Thomas Struth oder Christian Jankowski beispielsweise in Lugano, Vaduz und Zürich grosse, sehenswerte Ausstellungen entwickelt. Aber es geht auch kleiner und ebenso überzeugend. Richard Tisserand hat zwanzig Jahre lang das Programm des Kunstraum Kreuzlingen geprägt.
Als 2002 eine Position im fünfköpfigen Kuratorenteam des Kunstraum Kreuzlingen neu zu besetzen war, sollte für den Thurgauer Urs Graf wieder ein Künstler einsteigen. Die Wahl fiel auf Richard Tisserand. Der Kunstraum Kreuzlingen war damals im Umbruch. Bis dahin arbeiteten alle ehrenamtlich, die Ausstellungen wurden nach Gutdünken programmiert, das Potential des Raumes wurde bei weitem nicht ausgenutzt. Gesucht waren deshalb eine klares Konzept und ein professioneller Umgang mit den Künstlerinnen und Künstlern. Richard Tisserand erwies sich dafür als der Richtige, so richtig, dass er schon 2005 als professioneller und alleiniger Kurator für den Kunstraum angestellt wurde. Selber Künstler wusste er, was Künstlerinnen und Künstler brauchen; er ging auf sie ein, besprach Projekte ausführlich und auf Augenhöhe. Das brauchte Zeit, kam aber dem Kunstraum zugute. Die Ausstrahlung verbesserte sich, eine kuratorische Handschrift zeichnete sich ab und es wurde immer attraktiver im Kunstraum Kreuzlingen auszustellen.
Richard Tisserand konnte auf Mund-zu-Mund-Propaganda setzen. Der Kunstraum wurde eine empfehlenswerte Adresse. Auch für multimediale Kunstprojekte, die damals noch wenig Raum fanden: 2006 öffnete das Tiefparterre für Videokunst & Co dank Förderung durch das Bundesamt für Kultur. Seither finden die acht jährlichen Ausstellungen zweigleisig statt: vier im Hoch- und vier im Tiefparterre. Sie sind nicht zwingend aufeinander bezogen, aber immer wieder ergeben sich spannende Duette oder wie Richard Tisserand es nennt: «Interferenzen»: «Da alle Ausstellungen auf den Ort bezogen entwickelt werden, entstehen Schwingungen auch zwischen den ausgestellten Positionen.» So kann auch Gegensätzliches funktionieren.
Das Publikum hat die Qualität der Kunst im Tiefparterre schnell erkannt: «So manche gehen immer zuerst nach unten». Aber das Hochparterre steht keinesfalls im Schatten, im Gegenteil. Das liegt auch daran, dass Tisserand hier stets Exklusivität verlangt hat: «Ich habe die Künstlerinnen und Künstler gefragt, was sie hier entwickeln und wie sie den roten Faden weiterspinnen können.» Darauf gehen diese gerne ein, was auch an den Ausstellungshonoraren liegt: «Wir waren da in Pioniere. Wir waren die ersten in der Schweiz, die Ausstellungshonorare gezahlt haben.» Richard Tisserands eigene Erfahrung spielt dafür eine grosse Rolle: «Weil ich Künstler bin, weiss ich, wieviel die Vorbereitung kostet. Die Künstlerinnen und Künstler müssen bezahlt werden.» Das hat sich bei weitem nicht in allen Ausstellungsinstitutionen durchgesetzt, im Kunstraum Kreuzlingen hingegen steht auch der Kanton Thurgau hinter diesem Konzept. Er unterstützt den Raum, knüpft dies jedoch daran, dass zwei der acht jährlichen Ausstellungen einen regionalen Bezug haben. Grosszügig ausgelegt gilt dieser von Schaffhausen über St.Gallen bis zum Bodensee. Aktuell sind Richard Tisserands eigene Arbeiten im Kunstraum Kreuzlingen zu sehen – zum Abschied. Denn der Künstler und Kurator muss seine Arbeit aus gesundheitlichen Gründen aufgeben. Das Atelier in Paris ist geräumt, auch die Wohnung im Thurgau. Nun leuchten blaue Stadtlandschaften, Gebirge, Wasserflächen und abstrakte Gemälde in dem grosszügig durchfensterten Raum. Sie zeigen viele Arbeitsphasen und das künstlerische Selbstverständnis Tisserands, das ihm auch als Kurator zu Gute kam: mit Mut zur Neuerfindung, einer klaren Linie, einem offenen Blick und einer präzisen Umsetzung.