Das Doppelte im Dialog
by Kristin Schmidt
Wohin das Auge schweift – die Welt ist vielgestaltig. Kein Gipfel gleicht dem anderen, jeder Baum trägt die Früchte auf seine Weise; und je mehr die Natur sich selbst überlassen ist, desto mannigfaltiger ist sie. In der gebauten Welt hingegen sind Reihungen häufig: einförmig durchfensterte Fassaden, identische Fahrzeugkarossen, variantenfreie industrielle Fertigung. Hier wie dort fällt das Doppel auf. Es fesselt den Blick, denn es ist mehr als eines und weniger als beliebig viele.
Zweimal das Gleiche ist ein Paar: ein neues Ganzes bestehend aus zwei Hälften. Diese müssen nicht einmal identisch sein und haben doch sofort ein Gegenüber. Ein Dialog entsteht.
Beatrice Dörig schärft den Blick für solche Beziehungen, für Wiederholungen, für Ergänzungen, für Dualität. Sie hält das Unspektakuläre fest, das Beiläufige, das Zufällige, nur zu zweit muss es sein. Alles beginnt auf einer formalen Ebene und entwickelt sich zu einer Erzählung über Raum und Zwischenraum, über Gegenseitigkeit und Entsprechung und schliesslich über die Zeit: Wo zuvor Eines war, sind jetzt zwei und wird dereinst vielleicht wieder ein Einzelnes sein. Aber nur dort, wo beide sind, entsteht auch ein Raum dazwischen. Einen Raum, den Beatrice Dörigs Fotografien öffnen für unerwartete Entdeckungen und poetische Momente selbst auf dem Recyclinghof.
Text für den Solenthalter Kalender 2020