Sicher! Sicher?
by Kristin Schmidt
Die Schweiz will Sicherheit. Für Menschen, für Güter, für Werte. Die dafür errichteten Systeme, Bauten und das institutionelle Netzwerk sind beeindruckend. In der Fotostiftung präsentiert Salvatore Vitale seinen künstlerischen Blick auf eines der sichersten Länder der Welt und seine Vorkehrungen.
Sicherheit. Wovor? Vor wem? Für wen? Wodurch? In der Schweiz wird viel in die Sicherheit investiert. Aber in welchem Verhältnis stehen potentiell angenommene Bedrohung und Sicherheitsvorkehrungen? Wie sehen letztere aus? Sind sie überhaupt zu sehen? Auf welchen Voraussetzungen beruhen sie?
Salvatore Vitale (1986 in Palermo geboren) hat abstrakt wahrgenommene Sicherheitssysteme in eine konkrete Bildsprache übersetzt. Der 2005 in die Schweiz übergesiedelte Künstler hat mit dem Blick des Aussenstehenden ein visuelles Forschungsprojekt gestartet. Vier Jahre lang hat er Informationen über die Schutz- und Präventionssysteme der Schweiz zusammengetragen, hat äusserliche Merkmale dieser Systeme porträtiert, ihre Verbindungen analysiert und damit auch ihren Einfluss auf das tägliche Leben, das Denken.
Der Ausgangspunkt aller Sicherheitsvorkehrungen sind Bedrohungsszenarien. Seien es Umweltkatastrophen, Cyberangriffe oder Drogenhandel, Migrationsbewegungen oder Waffenschmuggel – wer sich absichern will, trifft vorbeugende Massnahmen. Die sind umfangreich und eindrucksvoll. Vitale hat Spezialistinnen und Forscher kontaktiert, hat Organisationsmodelle und Wegleitungen studiert. Er hat das Grenzwachtkorps besucht und die Drogenfahnung, eine Seepolizistin auf Patrouille begleitet und die Protokollabteilung des Verteidigungsministeriums beobachtet. Er hat Einblick erhalten in eine Sicherheitszelle, in die Wetterbeobachtungsstation am Flughafen Zürich und den Operations Room von MeteoSchweiz, wo extreme Wettersituationen bewältigt werden sollen. Auch die Türen von hochgesicherten Rechenzentren öffneten sich für ihn oder ein Sanitätszelt während der Simulation eines Terroranschlages in Grenznähe zu Italien.
Salvatore Vitale war an all diesen Orten und bei all diesen Unternehmungen stets mit der Fotokamera unterwegs. Die entstandenen Bilder muten mitunter banal an, wenn sie ein Grenzschild zeigen oder die Handskizze eines Geflüchteten mit den Sprachregionen der Schweiz, doch auch hier erschliessen sich schnell die grösseren Zusammenhänge. Andere Aufnahmen wirken surreal, wenn etwa ein Drogenspürhund auf einer Küchenarbeitsplatte hockt. Oft lassen sich die Fotografien ohne den beschreibenden Text kaum entschlüsseln, wenn etwa ein kontrollierter, eigens gelegter Brand zu sehen ist oder ein Roboter beim Trainingseinsatz.
Die Summe der Recherchen Vitales zeigt die ausgeklügelte Vielfalt und Dichte der schweizerischen Sicherheitsmassnahmen. Deren Komplexität entspricht die Inszenierung der Ausstellung in der Fotostiftung Schweiz. Die Fotografien sind unterschiedlich gross reproduziert und auf Metallkonstruktionen frei im Raum positioniert. Sie stehen auf unterschiedlichen Höhen, teilweise eng verschachtelt und sind gekippt, so dass die Distanz verringert ist und es fast möglich scheint, in diese Räume, Bunker, Zellen, Ruinen einzutreten.
Ein weiterer wichtiger Aspekt der Ausstellung sind die präsentierten schematischen Übersichten. Auf schwarzem Grund zeigen sie in der Schweiz verbreitete Waffen, Ziele von Cyberterrorismus, Strategien vorbeugender Verbrechensbekämpfung oder die Architektur eines unterirdischen Datenbunkers. Andere enthalten Statistiken und Karten zu sicherheitsrelevanten Themen. Spätestens bei diesen grafisch aufwendig aufbereiteten Informationen wird deutlich, das Salvatore Vitales Arbeit weit über das Fotografische hinaus geht. Der künstlerische Zugang offenbart sich auch in der Klanginstallation, deren Brummen die Permanenz dieser Massnahmen untermauert.
Auch, wenn die Ausstellung keine Vollständigkeit suggeriert – Justiz und Strafvollzug wurden bewusst ausgeklammert und für Geheimdienste und Atomkraftwerke war keine Fotoerlaubnis zu erhalten – zeichnet sie ein eindrückliches Bild der sicheren Schweiz.