Bümpliz ist überall.
by Kristin Schmidt
Peter Aerschmann fotografiert und filmt Menschen, Gebäude, Tiere, Arbeitsgeräte und Absperrgitter: Er sammelt mit der Kamera, was die urbane Lebensumwelt ausmacht, isoliert die einzelnen Elemente und setzt sie zu universalen Szenerien zusammen. Das Kunstmuseum Appenzell zeigt einen gross angelegten Werküberblick.
Die Bürgersteige sind betoniert und gewischt, die Strassen breit und asphaltiert, die Bauten sind funktional und austauschbar, die Natur ist zum Accessoire degradiert. Der Strassenwischer fegt und fegt und ist damit das perfekte Gegenstück zu jenem, der in Jacques Tatis „Mon Oncle“ nie den Besen schwingt, weil er jederzeit einen Schwatz vorzieht. In Bümpliz nämlich steht die Pflichterfüllung an oberster Stelle, obgleich die Strasse längst sauber ist.
Peter Aerschmann (*1969 in Freiburg, FR) hat die sterile Neubauwelt zu einer geloopten Sequenz verdichtet, die obendrein interaktiv ist. Der Druck auf den roten Knopf lässt jedoch nicht alles in die Luft fliegen, sondern eliminiert ebenso geordnet, wie der Strassenfeger seinem Tagwerk nachgeht, einen Stockwerk des Wohnblocks. „Variable 9 Bümpliz“, 2003 ist Teil von Peter Aerschmanns monographischer Ausstellung im Kunstmuseum Appenzell. Gezeigt wird eine exemplarische Auswahl seiner mehr als 75 Videoarbeiten, Digitalfilme und Fotoarbeiten von 1999 bis heute. Das klingt retrospektiv, funktioniert aber vor allen Dingen additiv. Die Präsentation folgt keiner Chronologie oder versucht inhaltliche Schwerpunkte zu setzen, sondern vereint möglichst viele Arbeiten in elf Räumen und zusätzlich in einer nächtlichen Projektion. Schnell kristallisieren sich die beiden grossen Themen des Künstlers heraus: die Natur und der Mensch in seiner Lebenswelt. In der Natur sind es der Formenreichtum und das Wechselspiel zwischen belebt und unbelebt, die Aerschmann in seine versatzstückhaften Videoloops übersetzt. Er montiert und arrangiert die ausgewählten Objekte vor neutralem Hintergrund, bringt sie in repetitive Bewegung und streift so auch noch die ganz grossen Themen wie Werden und Vergänglichkeit. Selbstverständlich durchdringen sich beide Themenwelten auch, wenn etwa der Zivilisationsmüll im Rasenstück landet oder Möwen sich beharrlich in den Stadtlandschaften aufhalten. Überhaupt die Möwen: Sie zeigen exemplarisch Aerschmanns Methodik. Er verwendet sie ausschnitthaft und nicht möglichst detailgetreu, sondern als Prototypen. Sie tauchen in verschiedenen Werken auf, werden an einen monochrom blauen Himmel gepinnt oder flattern einen Kiosk an. Auf diese Weise setzt Aerschmann auch Menschen ein. Ob auf Velos, bei der Arbeit oder in stiller Pose verharrend: Umgeben von isolierten, austauschbaren Elementen agieren sie auf einer global funktionierenden Bühne.